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Menschenrechtsorganisation erzwingt Transparenz über Impfstoffverträge

Die Health Justice Initiative (HJI) klagte erfolgreich auf die Herausgabe der Vereinbarungen, die die südafrikanische Regierung mit den Herstellern von Covid-19-Impfungen zu Beginn der Pandemie geschlossen hatte. Es zeigt sich: Die Texte begünstigten einseitig die Produzenten.

Ein Konsortium unter Leitung von HJI analysierte die Verträge.[1] Das Urteil ist vernichtend: „Die Bedingungen sind überwältigend einseitig und begünstigen multinationale Konzerne. Die Verträge enthalten ungewöhnlich hohe Anforderungen und Bedingungen, einschließlich Geheimhaltung, mangelnde Transparenz und sehr wenig Hebelwirkung gegen verspätete oder keine Lieferung oder überhöhte Preise – was zu krassen Profiten führt und der Unfähigkeit, in einer Pandemie angemessen zu planen.“ [2]

Begrenzte Souveränität

Die Impfstoffverträge mit allen Lieferanten wurden nicht nach südafrikanischem Recht geschlossen. Die Vereinbarung mit dem US-Konzern Johnson & Johnson unterliegt zum Beispiel der Rechtsprechung von England und Wales. Die Firma verlangte laut Vertrag mit zehn US$ pro Dosis 15% mehr von Südafrika als von der EU [3] und bestand auf einer nicht erstattungsfähigen Vorauszahlung von 27,5 Mio. US$.

Die Firma haftete nicht für verspätete oder den gänzlichen Ausfall von Lieferungen. Im Gegenteil, es gab sogar eine Klausel, die es der Firma erlaubte, in Südafrika abgefüllte Dosen zu exportieren. Das geschah dann während der dritten Covid-Welle im Lande auch tatsächlich. Gleichzeitig durfte die Regierung selbst weder Exporte verbieten noch ohne Zustimmung der Firma Impfstoffe an andere Länder abgeben. Die letztgenannte Auflage enthielt übrigens auch der nie wirksam gewordene Liefervertrag der EU mit dem deutschen Hersteller CureVac.[4]

Einseitige Verträge

Pfizer verlangte von Südafrika ebenfalls 10 US$ pro Dosis und damit rund ein Drittel mehr als von der Afrikanischen Union. Der kanadische Professor Mathew Herder sagte zu den Bestimmungen des Pfizer-Vertrags, dass sie „praktisch das gesamte Risiko, alle Kosten und die gesamte Belastung der südafrikanischen Regierung aufbürdeten, die zu dem Zeitpunkt, zu dem dieses Abkommen Anfang 2021 geschlossen wurde, praktisch keine Impfstoffe für die Bevölkerung des Landes hatte.“ Herder, der das Health Law Institute der Dalhousie University in Halifax leitet, beschrieb einige Bestimmungen des Vertrags als „extrem“ und „viel mehr zu Pfizers Gunsten im Vergleich zu einigen der anderen Verträge, die ich kenne. […]

Der Vertrag garantiert nicht, dass Pfizer tatsächlich Impfstoffe nach Südafrika liefert, und für den Fall, dass sie nicht liefern, ist das Beste, was die südafrikanische Regierung zurückholen kann, 50% der Vorauszahlung, die sie im Rahmen des Vertrags leisten mussten“. Im Vertrag mit Südafrika steht, dass Pfizer, „kommerziell verhältnismäßige Anstrengungen“ zur Lieferung des Impfstoffs unternimmt, während Vereinbarungen der Firma mit der EU auf den „besten verhältnismäßigen Standard“ verweisen, was die Latte höher legt. „Weil wirtschaftlich ist es sinnvoll, das Profitabelste zu tun. Und das bedeutet, wenn man damit mehr Renditen erwirtschaftet, zuerst anderswohin zu liefern. Unter dem Pfizer-Südafrika-Vertrag ist das vollkommen in Ordnung“, sagte Herder.[5],[6]

Der Oxford University/AstraZeneca-Impfstoff, produziert vom Serum Institute of India, war mit 5,35 US$ zwar günstiger, aber trotzdem zweieinhalb mal so teuer wie in der EU, [2] wie wir bereits Anfang 2021 im Pharma-Brief berichteten.[7]

Wer den Schaden hat …

Alle drei Hersteller verlangten weitreichend Haftungsausschlüsse und die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Impfschäden durch die südafrikanische Regierung als Vorbedingung für die Lieferungen. Solche Klauseln sind auch aus einem Vertrag zwischen Pfizer und Peru bekannt.[8]

Vage Klauseln: „Maximaler adjustierter Preis pro Dosis bedeutet 21,10 US$.“ Seite aus dem Vertrag zwischen Südafrika und GAVI.[15]

Covax versagte in Südafrika

Das öffentlich-private Impfprogramm Covax, mit dem die Versorgung des Globalen Südens gesichert werden sollte, scheiterte in Südafrika (und anderswo[9]) kläglich. Nicht nur, dass der durchschnittliche Dosispreis dort bei 10,55 US$ lag, auch von den bis Ende 2021 versprochenen 20 Millionen Dosen wurden laut Brook Baker von der mit der Durchführung von Covax beauftragten Impfstoff­initiative GAVI termingerecht nur etwas über eine Million geliefert.[3] GAVI bestätigte den Preis für eine Million von Südafrika bestellten Dosen. Weitere acht Millionen Dosen seien aber kostenlos geliefert worden. Über den Zeitraum in dem dies geschah, schweigt sich GAVI aber aus.[4]

Auf die Frage, ob Südafrika erpresst wurde, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums Foster Mohale BMJ, dass die Covid-Verträge zahlreiche Klauseln enthielten, die seine Regierung in anderen Impfstoffverträgen normalerweise nicht akzeptierte. „Ohne Zweifel hatten Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf der ganzen Welt – einschließlich Südafrika – begrenzte Verhandlungsmacht, um sich Impfstoffdosen zu sichern und den Preis von Impfstoffen auszuhandeln. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einschließlich der begrenzten Anzahl von Herstellern, dem Horten von Impfstoff und dem Nationalismus von Ländern mit hohem und hohem mittleren Einkommen.“ […] „Die ungleiche Verteilung von Impfstoffen hat zweifellos zu Todesfällen beigetragen, die hätten verhindert werden können. Angesichts der damaligen Ungewissheit traf die südafrikanische Regierung eine schwierige Entscheidung und priorisierte Rettung des Lebens der Bürger*innen.“[4]

Die Erkenntnisse zu den Verträgen in Südafrika sind noch unvollständig. Die restlichen durch das Gerichtsurteil freigegebenen Dokumente wollte der Staat erst Ende September an die Initiative übergeben.

In Europa ist es nicht besser

Diese (erzwungene) neue Transparenz in Südafrika steht in starkem Kontrast zu der Situation in der EU. Denn hier weigert sich die EU-Kommission weiterhin, die SMS herauszugeben, die zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem Pfizer-Chef Bourla im Zusammenhang mit dem EU-Impfstoffdeal ausgetauscht wurden. Abgesehen von der Ausrede, dass die SMS nicht aufzufinden wären, seien sie sowieso nicht relevant. Kommissions-Vizepräsidentin Věra Jourová verstieg sich zu der Behauptung: „Aufgrund ihres kurzlebigen und flüchtigen Charakters sind Text- und Sofortnachrichten nicht dazu bestimmt, wichtige Informationen über Politiken, Tätigkeiten und Entscheidungen der Kommission zu enthalten; Sie gelten daher weder als Dokument, das der Aufzeichnungspolitik der Kommission unterliegt, noch fallen sie in den Anwendungsbereich der Verordnung 1049/2001 über den Zugang zu Dokumenten.“[10]

Die New York Times hat im März diesen Jahres die EU-Kommission auf Herausgabe der SMS verklagt. Nach wie vor weicht diese aus. Es bleibt also unklar, ob die Nachrichten, die in der heißen Phase des Impfdeals zwischen von der Leyen und Bourla ausgetauscht wurden, noch existieren. Dass es sie gab, ist dagegen unstrittig.[11]

Neuerdings ist die Debatte um die Rolle von SMS wieder entbrannt. Die NGO Follow the Money deckte auf, dass hinter verschlossenen Türen ein Diskussionspapier der Kommission zirkuliert, dass man SMS normalerweise nicht benutzen sollte und sie nur in „außergewöhnlichen“ Fällen dokumentiert werden müssten. Das stößt im EU-Parlament aber auf Widerspruch.[12]

Der Generaldirektor der seit zwei Jahren existierenden EU-Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) bestritt jüngst ebenfalls Fehler der Kommission, konstatierte aber zugleich vielsagend über die Verhandlungen mit Herstellern: „Als wir diese Verträge aushandelten, waren wir gezwungen, Bedingungen zu akzeptieren, die nicht unbedingt unseren Vorstellungen entsprachen, die aber da waren. Wir hatten also keine Wahl.“[13]

Transparenz ist Voraussetzung für Gerechtigkeit

Letztlich ermöglichten erst intransparente Verträge die unfassbaren Milliarden­gewinne, die die Impfstoffhersteller einfuhren. Denn wären die unvorteilhaften Konditionen frühzeitig bekannt geworden, ist schwer vorstellbar, dass solche Vereinbarungen öffentliche Akzeptanz gefunden hätten.

Dem Resümee von Fatima Hassan, Gründerin und Direktorin der Health Justice Initiative, ist daher nichts hinzuzufügen: „Sofern wir nicht zu klaren, rechtsverbindlichen internationalen Vereinbarungen kommen, werden wir in der nächsten Pandemie nur wenig mehr Möglichkeiten haben, faire Bedingungen durchzusetzen als Plattitüden und bissige Presseerklärungen der Minister und Präsidenten in Südafrika und anderen Führern der Welt im Globalen Süden.“[14]  (JS) 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6-7/2023, S. 1

Bilder:
Vage Klauseln © Seite aus dem Vertrag zwischen Südafrika und GAVI

Chat © Vladyslav Bobuskyi/iStock

 

[1] Die freigegebenen Dokumente finden sich hier: https://healthjusticeinitiative.org.za/pandemic-transparency [Zugriff 18.9.2023]

[2] HJI (2023) Analysis finds that Big Pharma held South Africa to ransom over COVID-19 vaccines. Press release 18 Sep https://mailchi.mp/33d5c2a09e6a/media-release-from-health-justice-initiative [Zugriff 18.9.2023]

[3] Johnson & Johnson bestritt in einer aktuellen Stellungnahme, dass der Preis von 10 US$ tatsächlich verlangt wurde, es seien auch Südafrika nur 7,50 US$ pro Dosis berechnet worden. Siehe Dyer 2023

[4] Dyer O (2023) Covid-19: Drug companies charged South Africa high prices for vaccines, contracts reveal. BMJ; 15 Sep http://dx.doi.org/10.1136/bmj.p2112

[5] Cullinan K (2023) ‘Bullying’ Pharma Giants Charged South Africa More Than EU for COVID-19 Vaccines. Health Policy Watch 5 Sep https://healthpolicy-watch.news/bullying-pharma-giants-charged-south-africa-more-than-eu-for-covid-19-vaccines [Zugriff 18.9.2023]

[6] Diese beiden Absätze folgen textlich weitgehend Cullinan 2023.

[7] Pharma-Brief (2021) Covid-19: Südafrika zahlt doppelt Nr. 1, S. 8

[8] Pharma-Brief (2021) Pfizers faule Covid-19 Impfstoff-Deals. Nr. 2, S. 4

[9] Pharma-Brief (2023) Trübe Aussichten für künftige Pandemien. Nr. 1, S. 3

[10] Teffer P (2022) European Commission officials admitted that internal record-keeping rules were vague. Follow the Money, 9 March www.ftm.eu/articles/von-der-leyen-european-commission-internal-communication [Zugriff 18.9.2023]

[11] Krempl S (2023) „Nicht wichtig“: EU-Kommission übt sich in Wortklauberei bei Leyens Pfizer-SMS. Heise online 27.7. www.heise.de/news/Nicht-wichtig-EU-Kommission-uebt-sich-in-Wortklauberei-bei-Leyens-Pfizer-SMS-9228829.html [Zugriff 18.9.2023]

[12] Fanta A (2023) Ursula’s secret text messages: what happens in the Commission, stays in the Commission (says the Commission). Follow the Money, 21 Sep www.ftm.eu/articles/ursula-von-der-leyen-text-messages [Zugriff 21.9.2023]

[13] Holmgaard Mersh A (2023)  Delsaux: HERA has taken steps to make pandemic preparedness transparent. Euractiv 14 Sep www.euractiv.com/section/health-consumers/news/delsaux-hera-has-taken-steps-to-make-pandemic-preparedness-transparent/ [Zugriff 19.9.2023]

[14] Hamilton K (2023) Pharma giants set SA vaccine price tag at $734m, confidential contracts reveal. Bizzcommunity 5 Sep www.bizcommunity.com/Article/196/858/241639.html#  [Zugriff 18.9.2023]

[15] https://healthjusticeinitiative.org.za/wp-content/uploads/2023/09/COVAX-Facility-%E2%80%93-Gavi-Alliance-%E2%80%93-Committed-Purchase-Agreement.pdf [Zugriff 20.9.2023]


Auch Cochrane kann irren

Aufmerksamkeitsdefizit Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) ist bei Erwachsenen eine nicht unumstrittene Diagnose. Wie gerufen kam deshalb die vor drei Jahren erschienene Einschätzung der Cochrane Collaboration zur Behandlung dieser Altersgruppe mit Methylphenidat (Ritalin®). Jetzt wurde sie wegen gravierender Fehler zurückgezogen.

Im September 2014 wurde die systematische Übersicht (systematic review) über den Nutzen von Methylphenidat bei ADHS bei Erwachsenen veröffentlicht. Die Autoren um Tamir Epstein kamen zu dem Schluss, dass der Wirkstoff bei Erwachsenen mit ADHS wirksam sei und die unerwünschten Wirkungen „nicht von wichtiger klinischer Relevanz“ seien.

Frühe Kritik

Mehrere ForscherInnengruppen kritisierten die Auswertung kurz nach Erscheinen wegen gravierender Fehler. Die Cochrane Collaboration zog die Publikation nach einer Überprüfung erst am 26. Mai 2016 zurück.[1] Jetzt wurden deren eklatante Mängel öffentlich gemacht.[2] Eine Lektion darüber, was man alles falsch machen kann.

Zweifelhafte Wertungen

Es fängt bei der Bewertung der Evidenz an, die von Epstein und Kollegen als „hoch“ eingestuft wurde, obwohl sie nach den Kriterien von Cochrane als „niedrig“ hätte bewertet werden müssen. Denn die zehn in die Auswertung einbezogenen Studien waren sehr klein (im Median 30 Personen) und die Ergebnisse sehr heterogen. Ob die Verblindung von ÄrztInnen und PatientInnen konsequent umgesetzt wurde, war unklar.

Für PatientInnen wichtige krankheitsbedingte Einschränkungen wie Häufigkeit des Arbeitsplatzwechsels oder Leistungsfähigkeit wurden in den Studien gar nicht erfasst. Obwohl viele Menschen mit ADHS gleichzeitig andere psychische Störungen haben, waren solche PatientInnen von den meisten Studien ausgeschlossen, was die Aussagekraft weiter einschränkt. Außerdem dauerten die Studien nur 1 bis 7 Wochen, obwohl die Behandlung meist viel länger andauert. Aus Studien mit Kindern ist bekannt, dass die Effekte mit der Dauer der Behandlung abnehmen. Schon angesichts der geringen PatientInnenzahl (insgesamt 466) und der kurzen Dauer musste die Erfassung von unerwünschten Wirkungen unvollständig bleiben.

Statistische Fehler

Auch bei der Auswertung machten Epstein und Kollegen Fehler. So rechneten sie die Einschätzungen der Behandlungseffekte durch PatientInnen und behandelnde ÄrztInnen einfach zusammen, obwohl sich diese stark unterscheiden können. Sie behaupteten, dass das Risiko für verzerrte Ergebnisse bei den unerwünschten Wirkungen „gering“ sei, obwohl sie an anderer Stelle schrieben: „Wir konnten nicht feststellen, ob unerwünschte Effekte von den Studienautoren nicht diskutiert wurden, weil es keine gab oder weil sie […] nicht erfasst wurden.“[1]

Unvollständige Recherche

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Autoren vernachlässigten drei neue systematische Übersichtsarbeiten zum gleichen Thema, obwohl diese Untersuchungen zu abweichenden Ergebnissen kamen und eine Reihe von methodologischen Problemen diskutierten, die in der Cochrane Review nicht angesprochen wurden.

Schließlich sind die Interessenkonflikte ein dunkler Punkt – sie hätten die Verfasser eigentlich für die Durchführung der Review disqualifiziert. Zwei der drei Autoren hatten für die Hersteller von ADHS Medikamenten Vorträge gehalten und beide gaben an, erwachsene PatientInnen häufig mit Methylphenidat zu behandeln.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 7

 

[1] Epstein T et al. (2016) Immediate-release methylphenidate for attention deficit hyperactivity disorder (ADHD) in adults. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/14651858.CD005041.pub3/full

[2] Boesen K et al. (2017) The Cochrane Collaboration withdraws a review on methylphenidate for adults with attention deficit hyperactivity disorder. Evid Based Med doi: 10.1136/ebmed-2017-110716


Werden Medikamente in den USA zu langsam zugelassen?

Immer wieder hört man Vorwürfe der Industrie, dass es zu lange dauert, bis Arzneimittel von den Behörden für den Markt freigegeben werden. Zwei US-Wissenschaftler sind der Sache auf den Grund gegangen – mit erstaunlichen Ergebnissen.

Obwohl die FDA eine der schnellsten Zulassungsbehörden der Welt ist, reißt die Kritik der Pharmaindustrie nicht ab. Insgesamt hat sich in den letzten Jahrzehnten weltweit die Zeit bis zur Zulassung erheblich verkürzt. Die EU-Kommission ermittelte schon 2009, dass sich innerhalb der letzten dreißig Jahre die Zeitspanne zwischen Patentanmeldung und Zulassung von 12 auf 6 Jahre halbiert hat.[1] 2014 hatte die wirtschaftsliberale Denkfabrik „Manhattan Institute“ besonders die Abteilung für Herzkreislauf-Krankheiten der US-Behörde FDA angegriffen und als „am wenigsten effizient“ bezeichnet. Einer der Autoren ist Joseph DiMasi, der auch für die viel zitierten, aber umstrittenen hohen Zahlen zu Forschungskosten für Arzneimittel verantwortlich zeichnet.[2]

Faktencheck

Thomas Marciniak, ehemals selbst Mitarbeiter der kritisierten FDA-Abteilung, und Prof. Victor Serebruary von der Johns Hopkins University, Maryland/USA, nahmen alle Zulassungen für kardiovaskuläre Medikamente von 2011 bis 2015 unter die Lupe.[3] Ihre Fragestellung: Wer brauchte bei der Bearbeitung der 15 Anträge wie lange und warum? Dabei unterschieden sie zwischen der Zeit, die die wissenschaftliche Bewertung brauchte und dem anschließenden Entscheidungsprozess der FDA-Leitung.

Firmen: acht Monate

Vom Abschluss der entscheidenden Studie (letzter Patientenkontakt) bis zur Einreichung des Dossiers bei der FDA vergingen im Median acht Monate.[4] Dabei gab es enorme Unterschiede: Die Hersteller der Wirkstoffe Apixaban und Rivaroxaban brauchten nur 4 Monate, bei drei anderen Wirkstoffen dauerte es über ein Jahr. In einem Fall vergingen sogar über vier Jahre, bis die Behörde die Unterlagen von der Firma bekam und ihre Arbeit beginnen konnte.

Für die zeitlichen Verzögerungen machen die Autoren verschiedene Gründe aus: Unerfahrenheit über die Anforderungen an die einzureichenden Dokumente bei jüngeren Firmen, Priorisierung anderer Medikamente bei der Firma oder langwierige Überlegungen wie man widersprüchliche Ergebnisse aus Studien interpretiert und darstellt.

FDA: acht Monate

Die FDA WissenschaftlerInnen der Abteilung für Herzkreislauf-Krankheiten brauchten im Median acht Monate (maximal neun Monate) für die Bewertung eines neuen Arzneimittels. Angesichts der Tatsache, dass in diesem Indikationsgebiet sehr große Studien mit teils über 10.000 PatientInnen ausgewertet werden müssen, ist das keine lange Zeit. Zumal die FDA – im Gegensatz zur europäischen Behörde EMA – nicht nur die zusammengefassten Ergebnisse im Clinical Study Report (CSR) betrachtet, sondern die einzelnen PatientInnendaten analysiert. Dass das länger dauert als bei anderen Krankheitsbildern, bei denen deutlich kleinere Studien vorgelegt werden, verwundert nicht.

Länger mit Grund?

Dass es nach der wissenschaftlichen Bewertung im Median noch drei Monate bis zur endgültigen Entscheidung dauerte, mag lang erscheinen, aber Verzögerungen können durchaus mit Zweifeln zu tun haben. Bei zwei Wirkstoffen dauerte die Entscheidung fünf Monate. Bei Ivabradin gab es drei Studien, von denen zwei negativ ausgegangen waren. Bei Vorapaxar gab es Bedenken bei der Sicherheit von PatientInnen mit geringem Körpergewicht.

Zweite Chance

Bei vier Medikamenten führte die Bewertung dazu, dass die Hersteller Daten nachreichen oder in einem Fall eine zusätzliche Studie durchführen mussten. Diese Wiedereinreichungen führten natürlich zu weiteren Verzögerungen, die aber nicht einem Trödeln der Behörde, sondern der unklaren Datenlage geschuldet waren. Die zweite Chance kann man auch positiv sehen. Denn ansonsten hätte die FDA die Zulassungen ganz ablehnen müssen, so die Autoren. Sie betonen allerdings, dass es nicht Gegenstand ihrer Untersuchung war, die Sinnhaftigkeit der Zulassungen zu untersuchen.

Resümee

Marciniak und Serebruary warnen: „Die Zulassung weiter zu beschleunigen, indem man von den FDA-WissenschaftlerInnen verlangt, dass sie ihre Bewertung noch schneller durchführen, könnte nicht nur schwierig werden, sondern auch schädlich.“ Insbesondere die Absenkung der Standards, die im Ende letzten Jahres verabschiedeten „21st Century Cures Act“ vorgesehen ist, „könnte Patient­Innen und die Gesundheitsbudgets teuer zu stehen bekommen.“  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 6

 

[1] European Commission (2009) Pharmaceutical Sector Inquiry Final Report

[2] Schaaber J (2016) Macht Forschung die Arzneimittel so teuer? Pharma-Brief Spezial, Nr. 2, S. 9

[3] Marciniak T and Serebruany V (2017) Are drug regulators really too slow? BMJ;357, p j2867

[4] Der mittlere Wert von acht Monaten ist hier aussagekräftiger, da aufgrund eines Ausreißers von 54 Monaten der Durchschnitt zwölf Monate beträgt.


WHO will Antibiotikaforschung ankurbeln

Günstige ältere Antibiotika sind mittlerweile bei Gonorrhö weitgehend wirkungslos.[1] Eine wirksame Therapie ist in den meisten Ländern nur noch mit Breitspektrum-Antibiotika möglich, und immer häufiger gibt es extrem-resistente Krankheitsfälle, die auf gar keine Behandlung ansprechen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO will die Antibiotikaforschung gemeisam mit der Drugs for Neglected Diseases Initiative (DNDi) ankurbeln sowie Therapie und Prävention verbessern.[2]

Die Gonorrhö umgangssprachlich bekannt unter dem Namen „Tripper“, ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die von Gonokokken ausgelöst wird. Der Krankheitserreger kann beim Geschlechtsverkehr auf die Schleimhäute von Genitalien, Mastdarm oder Rachen übertragen werden und verursacht eine eitrige Entzündung. Laut WHO infizieren sich jährlich 78 Millionen Menschen mit der Geschlechtskrankheit. Die Gonorrhö steht damit auf Platz zwei der häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten. [2], [3]

Nur Breitspektrum-Antibiotika zeigen noch Wirkung

Mit ihrem Meldesystem GASP (Global Gonococcal Antimicrobial Surveillance Programme) erfasst die WHO Resistenzen bei Gonorrhö. Die Datenlage sei besorgniserregend. Aus Industrieländern würden immer häufiger Krankheitsformen gemeldet, bei denen kein bekanntes Antibiotikum mehr wirkt. „Das ist aber womöglich nur die Spitze des Eisbergs“, so Dr. Teodora Wi, Expertin für Reproduktionsmedizin bei der WHO.[2] Denn in armen Ländern, wo die Geschlechtskrankheit viel mehr verbreitet ist, fehle es an Meldesystemen und an verlässlichen Daten zur Resistenzentwicklung. Außerdem bliebe Gonorrhö aufgrund milder Symptome häufig unentdeckt oder werde falsch behandelt.

Unerkannte, übersehene oder falsch behandelte Infektionen können zu gravierenden Komplikationen führen. Schwangere können die Infektion bei der Geburt auf ihr Kind übertragen. Bei den Säuglingen führt das häufig zu Entzündungen der Augenbindehaut und zu Erblindung. 

Wege aus der Resistenzkrise

Die WHO will der Resistenzkrise mit einer verbesserten Prävention, verbesserter Therapie und intensiver Antibiotika-Forschung begegnen. Safer Sex, der Gebrauch von Kondomen und Aufklärungsarbeit seien entscheidende Grundlage, um die Ausbreitung der Infektion einzudämmen, und auch eine rationalere Verschreibungspraxis sei gefordert. Marc Sprenger, Direktor der Abteilung Antimikrobielle Resistenz bei der WHO: „Um Gonorrhö zu kontrollieren brauchen wir neue Methoden und Systeme für eine bessere Prävention, Behandlung und frühere Diagnose […]“. Sprenger fordert außerdem eine lückenlose Überwachung und Meldung von Neuinfektionen, sowie eine Dokumentation der Behandlung, auftretender Resistenzen und auftretenden Therapieversagens.

Bessere Therapie und mehr Forschung

Die WHO empfiehlt bei Gonorrhö seit dem vergangenen Jahr eine kombinierte Therapie aus zwei verschiedenen antibiotischen Wirkstoffen, um der Resistenzbildung vorzubeugen. Ohne neue wirksame Therapien und Diagnostika sei die Resistenzkrise aber nicht zu überwinden. Gemeinsam mit der Drugs for Neglected Diseases Initiative (DNDi) hat die WHO das Forschungsprogramm GARDP (Global Antibiotic Research and Development Partnership) ins Leben gerufen, das sich der Erforschung dringend benötigter neuer Antibiotika verschrieben hat.[4] Drei Kandidaten zur Therapie der Gonorrhö befinden sich derzeit in verschiedenen Forschungsstadien. Erfreulicherweise beteiligt sich die Bundesrepublik verstärkt an GARDP (siehe S. 8).

Doch auch in anderen Bereichen wären Forschungsaktivitäten bitter nötig. Sprenger: „Wir brauchen […] auch schnelle, sichere Sofort-Tests, idealerweise solche, die vorhersagen können, welche Antibiotika auf eine vorliegende Infektion wirken – und auf lange Sicht einen Impfstoff, der Gonorrhö verhindert.“  (LK/CJ)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 5
Bild © Adam Jones

 

[1] Plos Medicine (2017) Antimicrobial resistance in Neisseria gonorrhoeae: Global surveillance and a call for international collaborative action. Online Artikel 07.07.2017. https://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1002344

[2] WHO and DNDi (2017) Antibiotic-resistant gonorrhoea on the rise; need for new drugs. Pressemitteilung 07.07.2017. www.who.int/mediacentre/news/releases/2017/Antibiotic-resistant-gonorrhoea/en/ [Zugriff 26.07.2017]

[3] Ärzteblatt (2016) WHO: Neue Leitlinie zu Gonorrhö, Syphilis und Chlamydien-Infektionen. Online Artikel 31.08.2016. www.aerzteblatt.de/nachrichten/70287/WHO-Neue-Leitlinie-zu-Gonorrhoe-Syphilis-und-Chlamydien-Infektionen

[4] www.gardp.org


Kombi-Präparat von der WHO geprüft

Erstmalig erfüllt ein Tuberkulose-Medikament in kindgerechter Formulierung die Qualitätsstandards der Weltgesundheitsorganisation WHO. Das Kombi-Präparat wurde auf die Liste präqualifizierter Arzneimittel aufgenommen. Es ist damit fortan bei der Global Drug Facility verfügbar, einer vom Stop TB Partnership betriebenen-Einrichtung zur kostengünstigen Beschaffung von TB-Medikamenten für nationale Behandlungs- sowie internationale Gesundheitsprogramme.[1]

Obwohl gerade Kleinkinder ein hohes Erkrankungsrisiko haben und jährlich rund eine Million Kinder an TB erkranken, gab es keine pädiatrische Formulierung für die Standardtherapie. Bisher mussten Tabletten für Kinder mit dem Mörser zerkleinert werden und die Dosierung war schwierig. Die BUKO Pharma-Kampagne hat diesen Missstand mehrfach thematisiert.[2]

Das neue Medikament des indischen Herstellers Macleods Pharmaceuticals kombiniert die TB-Wirkstoffe Rifampicin und Isoniazid in einer für Kinder geeigneten Dosierung. Das Mittel kann in Wasser aufgelöst werden und hat einen angenehmen Geschmack. Es ist für die zweite Behandlungsphase der 6-monatigen Therapie geeignet. Eine weitere Kinderarznei mit drei Wirkstoffkomponenten, die zu Beginn einer TB-Therapie eingesetzt werden kann, wird derzeit noch von der WHO geprüft.

Mario Raviglione, Direktor des globalen TB Programms bei der WHO ist zuversichtlich, dass sich mit der neuen Arznei Behandlungslücken schließen lassen: „Der Mangel an kindgerechten Arzneimitteln zur Behandlung von TB war lange Zeit ein großes Problem. Die Tatsache, dass wir diese Medikamente jetzt haben und sie die Qualitätsstandards der WHO erfüllen, wird den Zugang von Kindern zu einer wirksamen Behandlung überall auf der Welt verbessern.“ [3]  (CJ)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 4

 

[1] Das Medikament wurde in die GDF-Produktliste aufgenommen: www.stoptb.org/gdf/drugsupply/pc3.asp?PID=977 [Zugriff 5.9.2017]

[2] Pharma-Brief Spezial (2016) Kinder sind besonders gefährdet. Nr. 1, S. 26

[3] WHO (2017) WHO prequalifies key treatment for children with TB. News, 1 Sept. https://extranet.who.int/prequal/news/who-prequalfiies-key-treatment-children-tb [Zugriff 5.9.2017]


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