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Der Pharma-Brief 10/2022 widmet sich folgenden Themen:
EU: Neuer Plan für globale Gesundheit
Fortschrittliche Politik oder nur schöne Worte?



Unsere Fachzeitschrift Pharma-Brief erscheint acht Mal pro Jahr und bietet gut recherchierte Beiträge rund um das Thema globale Gesundheit. Sie informiert über Zugangsprobleme bei Medikamenten, Arzneimittelrisiken und Nutzenbewertung, mangelnde Transparenz des Arzneimittelmarktes, vernachlässigte Krankheiten, illegale Pharmageschäfte, internationale Gesundheitspolitik und auch über Projekte der BUKO Pharma-Kampagne. Zweimal jährlich erscheint außerdem eine Doppelausgabe mit dem Pharma-Brief Spezial als Beilage. Die Broschüren beleuchten jeweils ein Schwerpunktthema.

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Überflüssige Krebsmedikamente belasten Patient*innen und Kassen

Wissenschaftler*innen der Universität Utrecht haben Nutzen und Umsatz von Krebsmedikamenten unter die Lupe genommen.[1] Ihr Fazit ist ernüchternd: Neben wenigen echten Fortschritten gibt es viel Fragwürdiges. Für die Hersteller sind diese Produkte trotzdem profitabel.

Leitfrage der Untersuchung: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Zusatznutzen und dem Umsatz der Medikamente? Zwischen 1995 und 2020 wurden von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA 156 Krebsmedikamente zugelassen, für 131 von ihnen gab es verwertbare Nutzenbewertungen,[2] die insgesamt 166 Indikationen abdeckten.[3] Es wurden Bewertungen aus Deutschland, Frankreich, Italien und den USA sowie der europäischen (ESMO) und der amerikanischen Krebsgesellschaft (ASCO) berücksichtigt. Nur bei 13% der Indikationen wurde ein erheblicher Zusatznutzen bescheinigt, bei 23% immerhin ein beträchtlicher und bei 22% ein geringer. Bei 41% gab es keinen oder einen unklaren Zusatznutzen.

Dabei gab es erhebliche Unterschiede zwischen normal zugelassenen Medikamenten, bei denen es nur in 36% der Fälle keinen Zusatznutzen gab, bei Zulassungen im beschleunigten Verfahren hingegen war das bei 56% der Fall. Das spiegelt die unklare Evidenzlage vor allem bei seltenen Krankheiten wider, die nicht selten ohne solide Daten frühzeitig auf den Markt geworfen werden.[4]

Für 109 Krebsmedikamente lagen Umsatzzahlen vor. Geht man von durchschnittlichen Forschungskosten (einschließlich Fehlschlagen) von 684 Mio. US$ aus, wurden diese im Median innerhalb von drei Jahren wieder eingespielt.

Spannend ist die Frage, ob die besseren Produkte auch höhere Umsätze erzielten. Das schien der Fall zu sein,[5] der Unterschied war aber nicht besonders gros (siehe Grafik). Paradoxerweise erzielten Medikamente, die gar keine Verbesserungen bringen, tendenziell sogar höhere Umsätze als solche mit einem geringen Zusatznutzen.

Das Resümee der Autor*innen: „Die zwischen 1995 und 2020 von der Europäischen Arzneimittelbehorde zugelassenen Krebsmedikamente erwirtschaften die Kosten für Forschung und Entwicklung ungeachtet ihres Zusatznutzens effektiv.“ In einem begleitenden Editorial wird auf den dringenden Handlungsbedarf hingewiesen, damit eine adäquate Versorgung auch künftig sichergestellt werden kann. Die Gesetzgebung müsse für die Füllung von Therapielücken sorgen. Die in der EU derzeit stattfindende Debatte über Ausweitung von Regeln, die die Hürden für Zulassungen senken, halten sie für einen Irrweg.[6]

Während in reichen Landern überflüssige Präparate die Kosten in die Höhe treiben und eine rationale Behandlung erschweren, sieht die Lage global gesehen noch viel dusterer aus. Nach Angaben der WHO decken nur 39% der Versorgungssysteme weltweit eine Grundversorgung bei Krebs ab.[7] Hohe Medikamentenpreise sind eine wichtige Ursache für diese Lücke.[8] (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 2-3/2024, S. 4
Grafik Quelle Brinkhuis 2024

[1] Brinkhuis F et al. (2024) Added benefit and revenues of oncology drugs approved by the European Medicines Agency between 1995 and 2020: retrospective cohort study. BMJ; 384, p e077391 https://www.bmj.com/content/384/bmj-2023-077391 

[2] Die Bewertung durfte maximal 1,5 Jahre vor oder nach der Zulassung durchgeführt sein.

[3] Krebswirkstoffe haben öfters mehr als eine Indikation.

[4] Pharma-Brief (2022) Waisenmedikamente; Geschenkter Nutzen. Nr. 1, S. 1

[5] Da sowohl Umsatzdaten wie Bewertungen nur für 43 Medikamente vorlagen, waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant.

[6] Brinkhuis F et al. (2024) High cost oncology drugs without proof of added benefit are burdening health systems. BMJ;384, p q511 http://dx.doi.org/10.1136/bmj.q511 

[7] WHO (2024) WHO global survey on the inclusion of cancer care in health-benefit packages. 

[8] Pharma-Brief (2022) Unbezahlbar krank. Spezial Nr. 1


Deutsche Impfstoffproduktion in Ruanda

Das Pharmaunternehmen Biontech hat die erste Produktionsstätte für mRNA-Impfstoffe in Ruanda eröffnet. Das Ziel bestehe darin, die Diversifizierung der Impfstoffproduktion auf dem afrikanischen Kontinent zu unterstützen. Die Nachhaltigkeit dieses Vorhabens durch ein milliardenschweres Unternehmen, das sich während der Corona-Pandemie nicht gerade für eine gerechte Impfstoffverteilung eingesetzt hat, bleibt zweifelhaft (wir berichteten).[1] 

Das Pharmaunternehmen Biontech expandiert die Impfstoffproduktion nach Ruanda, Senegal und Südafrika. Damit will das Unternehmen nach eigenen Angaben  das Ziel der Afrikanischen Union unterstützen, bis zum Jahr 2040 60% des Impfstoffbedarfs des afrikanischen Kontinents selbst zu produzieren.[2] Am 18.12.2023 wurde die erste Produktionsstätte in Kigali eröffnet.[3] Die sogenannten „BioNTainer“ bestehen aus sechs Schiffscontainern, die eine modulare Einheit bilden. Sie wurden als schlüsselfertige Fabrik in die Sonderwirtschaftszone Ruandas eingeflogen. Die Kapazität beträgt 50 Millionen Dosen eines mRNA-Impfstoffs, der nach dem Produktionsverfahren des Covid-Impfstoffes hergestellt wird – perspektivisch sollen dort auch Impfstoffe gegen Malaria und Tuberkulose produziert werden, die sich bei Biontech in der Entwicklung befinden.[4] Zwar hat die Firma die Produktionsanlage in Kigali nach eigenen Angaben selbst finanziert,[5] das gesamte Vorhaben wird aber durch öffentliche Gelder, genauer dem Global Gateway der EU, unterstützt. Der Global Gateway strebt bis 2027 an, mit 1,2 Milliarden Euro die Impfstoffproduktion in fünf afrikanischen Ländern anzukurbeln – 550 Millionen Euro davon werden durch Deutschland aufgebracht.[6][7] 

Mit Blick auf die Covid-19 Pandemie ist es fraglich, wie großzügig und nachhaltig das Vorhaben wirklich ist, denn während der Pandemie hat Biontech nicht gerade zu einer gerechten Impfstoffverteilung beigetragen und weigert sich bis heute vehement Patente freizugeben. Die Bundesregierung verteidigte bei WHO und WTO den Patentschutz und setzte stattdessen auf bilaterale Kooperationen mit der Industrie, nachweislich unter Lobbyeinfluss diverser Firmen. Die Bundesregierung lehnte den Patent-Waiver bei der WTO ab und sorgte für die erhebliche Verzögerung und die Verwässerung des Beschlusses bis zur Unkenntlichkeit (wir berichteten).[8] 

Den mRNA-Hub, der während der Pandemie von der WHO in Südafrika gegründet wurde und zum Ziel hat, das Potenzial der mRNA-Plattformtechnologie auch für den Globalen Süden verfügbar zu machen, sabotierte Biontech sogar aktiv. Sie spannte dafür die kENUP Foundation ein, die Lobbyarbeit in Südafrika machte und in einem Gutachten forderte, dass der WHO-Hub seine Aktivitäten einstellen sollte, weil er angeblich geistige Eigentumsrechte verletze.[9][10] 

Umso fragwürdiger war die Anwesenheit deutscher Politiker*innen bei der Firmen­eröffnung in Ruanda. Mit der Botschaft „Endlich Zugang zu Arzneimitteln auch für den globalen Süden“ machte die Politik diese prominent. Außenministerin Annalena Baerbock war vor Ort und betonte die Lehren der Covid-19 Pandemie und „wie nachteilig sich unfaire Verhältnisse auswirken können“.[7] Bärbel Kofler, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, bezeichnete die Fabrik als „entwicklungspolitischen Meilenstein“.[3]

Was dabei übersehen wird: Geistiges Eigentum sowie die Kontrolle über die Produktion und Preise liegen bei der Firma Biontech. Unklar ist auch der genaue Produktionsbeginn, bekannt ist lediglich, dass 2025 erste Testchargen zur Prozessvalidierung produziert werden sollen.[5] Ob und wann die besagten Impfstoffe gegen Malaria und Tuberkulose zugelassen werden, steht in den Sternen.

Ayoade Alakija, die während Pandemie Sonderbeauftragte der WHO für den “Access to COVID-19 Tools Accelerator” war, kritisiert die „BioNTainer“ als “cut-and-paste model” und betont, dass durch das Vorhaben BioNTechs die Unabhängigkeit afrikanischer Länder keineswegs gefördert werde. Sie sagte, dass in der Vergangenheit Afrika bereits über eine lokale Impfstoffproduktion verfügte, Korruption und Ineffizienz hätten zur Abhängigkeit vom Globalen Norden geführt. Wichtig sei für Afrika gute Regierungsführung und selbst aktive Geopolitik zu betreiben. Afrika brauche eine Pharmaproduktion, die alle Herstellungsstufen umfasst. „Wir brauchen keine Beschönigungen: Diskutiert werden sollte nicht die Infantilisierung Afrikas, sondern seine Dekolonisierung.“[2]  (EF)

Artikel aus dem Pharma-Brief 2-3/2024, S. 1
Bild Ruanda © Wysiati/istock

[1] Pharma-Brief (2022) WTO Patent-Waiver: Außer Spesen nichts gewesen. Nr. 5-6, S. 3

[2] Shankar Balakrishnan V (2023) BioNTech Highlights African Vaccine Partnerships – But is Challenged to Ensure Real Tech Transfer. Health Policy Watch, 18 Nov https://healthpolicy-watch.news/biontech-highlights-african-partnerships [Zugriff: 4.3.2024] 

[3] BMZ (2023) Erste kommerzielle mRNA-Impfstoffproduktion Afrikas geht in Ruanda an den Start. Pressemitteilung 18.12. www.bmz.de/de/aktuelles/aktuelle-meldungen/erste-kommerzielle-mrna-impfstoffproduktion-afrikas-startet-195992 

[4] Ärzteblatt (2023) Erste Biontech-Container für Impfstoffproduktion in Ruanda. 13.3. www.aerzteblatt.de/nachrichten/141656/Erste-Biontech-Container-fuer-Impfstoffproduktion-in-Ruanda [Zugriff: 4.3.2024]

[5] Biontech (2023) BioNTech erreicht Meilenstein in der Errichtung einer Produktionsstätte für mRNA-basierte Impfstoffe in Ruanda. Pressemitteilung 18.12.23 https://investors.biontech.de/de/news-releases/news-release-details/biontech-erreicht-meilenstein-der-errichtung-einer-0  [Zugriff: 4.3.2024]

[6] Ärzteblatt (2023) Baerbock sichert Afrika Unterstützung im Kampf gegen Krankheiten zu. 18.12. www.aerzteblatt.de/nachrichten/148112/Baerbock-sichert-Afrika-Unterstuetzung-im-Kampf-gegen-Krankheiten-zu [Zugriff: 4.3.2024]

[7] Auswärtiges Amt (2023) Rede von Außenministerin Baerbock bei der Eröffnung der BioNTech-Produktionsstätte in Ruanda. Rede vom 20.12. www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/-/2636600 

[8] BUKO Pharma-Kampagne (2024) Covid-19 Entwicklungen Teil 2 https://bukopharma.de/de/covid-19/750-rueckblick-und-zukunft-covid-teil2 

[9] Davies M (2022) Covid-19: WHO efforts to bring vaccine manufacturing to Africa are undermined by the drug industry, documents show. BMJ; 376, p o304, https://doi.org/10.1136/bmj.o304 

[10] Pharma-Brief (2022) Tödliches Spiel auf Zeit. Nr. 2, S. 4

 


Hier finden Sie eine separate Auflistung des Pharma-Brief Spezial. Dies sind Sonderausgaben, die sich auf unterschiedliche Themenschwerpunkte konzentrieren.

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