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Überflüssige Krebsmedikamente belasten Patient*innen und Kassen

Wissenschaftler*innen der Universität Utrecht haben Nutzen und Umsatz von Krebsmedikamenten unter die Lupe genommen.[1] Ihr Fazit ist ernüchternd: Neben wenigen echten Fortschritten gibt es viel Fragwürdiges. Für die Hersteller sind diese Produkte trotzdem profitabel.

Leitfrage der Untersuchung: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Zusatznutzen und dem Umsatz der Medikamente? Zwischen 1995 und 2020 wurden von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA 156 Krebsmedikamente zugelassen, für 131 von ihnen gab es verwertbare Nutzenbewertungen,[2] die insgesamt 166 Indikationen abdeckten.[3] Es wurden Bewertungen aus Deutschland, Frankreich, Italien und den USA sowie der europäischen (ESMO) und der amerikanischen Krebsgesellschaft (ASCO) berücksichtigt. Nur bei 13% der Indikationen wurde ein erheblicher Zusatznutzen bescheinigt, bei 23% immerhin ein beträchtlicher und bei 22% ein geringer. Bei 41% gab es keinen oder einen unklaren Zusatznutzen.

Dabei gab es erhebliche Unterschiede zwischen normal zugelassenen Medikamenten, bei denen es nur in 36% der Fälle keinen Zusatznutzen gab, bei Zulassungen im beschleunigten Verfahren hingegen war das bei 56% der Fall. Das spiegelt die unklare Evidenzlage vor allem bei seltenen Krankheiten wider, die nicht selten ohne solide Daten frühzeitig auf den Markt geworfen werden.[4]

Für 109 Krebsmedikamente lagen Umsatzzahlen vor. Geht man von durchschnittlichen Forschungskosten (einschließlich Fehlschlagen) von 684 Mio. US$ aus, wurden diese im Median innerhalb von drei Jahren wieder eingespielt.

Spannend ist die Frage, ob die besseren Produkte auch höhere Umsätze erzielten. Das schien der Fall zu sein,[5] der Unterschied war aber nicht besonders gros (siehe Grafik). Paradoxerweise erzielten Medikamente, die gar keine Verbesserungen bringen, tendenziell sogar höhere Umsätze als solche mit einem geringen Zusatznutzen.

Das Resümee der Autor*innen: „Die zwischen 1995 und 2020 von der Europäischen Arzneimittelbehorde zugelassenen Krebsmedikamente erwirtschaften die Kosten für Forschung und Entwicklung ungeachtet ihres Zusatznutzens effektiv.“ In einem begleitenden Editorial wird auf den dringenden Handlungsbedarf hingewiesen, damit eine adäquate Versorgung auch künftig sichergestellt werden kann. Die Gesetzgebung müsse für die Füllung von Therapielücken sorgen. Die in der EU derzeit stattfindende Debatte über Ausweitung von Regeln, die die Hürden für Zulassungen senken, halten sie für einen Irrweg.[6]

Während in reichen Landern überflüssige Präparate die Kosten in die Höhe treiben und eine rationale Behandlung erschweren, sieht die Lage global gesehen noch viel dusterer aus. Nach Angaben der WHO decken nur 39% der Versorgungssysteme weltweit eine Grundversorgung bei Krebs ab.[7] Hohe Medikamentenpreise sind eine wichtige Ursache für diese Lücke.[8] (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 2-3/2024, S. 4
Grafik Quelle Brinkhuis 2024

[1] Brinkhuis F et al. (2024) Added benefit and revenues of oncology drugs approved by the European Medicines Agency between 1995 and 2020: retrospective cohort study. BMJ; 384, p e077391 https://www.bmj.com/content/384/bmj-2023-077391 

[2] Die Bewertung durfte maximal 1,5 Jahre vor oder nach der Zulassung durchgeführt sein.

[3] Krebswirkstoffe haben öfters mehr als eine Indikation.

[4] Pharma-Brief (2022) Waisenmedikamente; Geschenkter Nutzen. Nr. 1, S. 1

[5] Da sowohl Umsatzdaten wie Bewertungen nur für 43 Medikamente vorlagen, waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant.

[6] Brinkhuis F et al. (2024) High cost oncology drugs without proof of added benefit are burdening health systems. BMJ;384, p q511 http://dx.doi.org/10.1136/bmj.q511 

[7] WHO (2024) WHO global survey on the inclusion of cancer care in health-benefit packages. 

[8] Pharma-Brief (2022) Unbezahlbar krank. Spezial Nr. 1