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Wie Arzneimittel nachhaltiger werden können

Arzneimittel sind notwendig, können aber Klima und Umwelt schädigen: bei der Herstellung, Behandlung und Entsorgung. Geht das nicht besser? Darüber haben wir mit Dorothea Baltruks vom Centre for Planetary Health Policy gesprochen.

Wie entstehen durch Arzneimittel Treibhausgase?

Im Prinzip entstehen Emissionen und andere Umweltschäden entlang der gesamten Lieferkette von Arzneimitteln: von der Entwicklung zur Produktion, dem Transport, der auch zwischen den mitunter recht komplexen Produktionsschritten stattfindet, bis zur Anwendung und Entsorgung.

Häufig haben wir keine transparenten Daten, wo genau welche Emissionen entstehen. Die pharmazeutischen Unternehmen haben sie, doch was sie veröffentlichen, ist sehr unterschiedlich. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass Arzneimittel in etwa 20 Prozent der Emissionen des Gesundheitswesens ausmachen, also schon einen deutlichen Teil.

Welche Rolle spielen Arzneimittel­rück­stände im Wasser für die Gesundheit von Menschen und Ökosystemen?

Da müsste man zwischen Deutschland und der EU und anderen wichtigen Produktionsländern wie China und Indien unterscheiden. In Deutschland ist das recht gut reguliert: Man kann davon aus­gehen, dass bei der Produktion keine Arzneimittelrückstände entstehen, die für die Gesundheit direkt schädlich sind. Dennoch haben wir recht hohe Konzentrationen von Arzneimittelrückständen im Wasser, die sich zum Teil in Ökosystemen und Nahrungsketten anreichern. Teilweise ist noch nicht gut erforscht, welche langfristigen Auswirkungen das genau hat.

Anders verhält es sich in den Produktionsländern, wo vor allem viele Generika auch für den deutschen Markt hergestellt werden. Da sind die Umweltstandards mitunter deutlich geringer beziehungsweise ihre Durchsetzung ist schwerer nachzuvollziehen. Berichten zufolge gelangen Chemikalien aus der Arzneimittelproduktion in diesen Ländern zum Teil fast ungefiltert in die Flüsse und schaden den Menschen dort sehr direkt. Dazu gibt es noch sehr viel weniger transparente Zahlen.

Woran liegt das?

In der EU haben wir eine relativ gute Regulierung. Trotzdem werden im Arzneimittel-Bereich Aspekte wie Emissionen oder Umweltschäden noch nicht ausreichend berücksichtigt. Da besteht großer Nachbesserungsbedarf.

Auf der globalen Ebene ist es noch viel schwieriger. Eigentlich bräuchte es dort aber Vereinbarungen. Denn gerade für Produktionsländer im Globalen Süden ist es schwer, Umweltstandards einzuführen, die den Standort für Firmen unattraktiv machen. Deshalb wäre es sinnvoll, für die Chemikalien einen globalen Standard zu haben.

In Deutschland gibt es seit 2006 für Humanarzneimittel die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Bislang hat sie aber kaum Auswirkungen auf die Zulassung. Durch die von der EU-Kommission im Frühjahr 2023 vorgeschlagene Pharma-Reform könnte sich das ändern.

Die Narkosegase Desfluran, Isofluran und Lachgas schaden dem Klima mehr als CO2. Was lässt sich dagegen tun?

Zur Klimaschädlichkeit der einzelnen Gase haben wir gute Evidenz. Desfluran sticht mit seiner 2.540-mal klimaschädlicheren Wirkung als CO2 besonders heraus. Einige Kliniken haben bereits Filteranlagen eingebaut oder planen dies. Mit ihnen können bis zu 50 Prozent der Narkosegase herausgefiltert werden. An erster Stelle muss dabei natürlich immer die medizinische Abwägung stehen, was für den Patienten richtig und wichtig ist.

Manchmal ist es aber möglich, klimafreundlichere Alternativen zu Desfluran zu finden beziehungsweise den Einsatz zu verringern. In England will man auf Desfluran noch in diesem Jahr verzichten, weil es da schon einige gute Alternativen gibt. Der wichtigste Hebel ist aber die Vermeidung von unnötigen Operationen. 

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein­medizin und Familienmedizin hat 2022 eine Leitlinie für eine klimabewusste Verordnung von inhalativen Arznei­mitteln herausgebracht. Was halten Sie davon?

Die ist sehr positiv zu bewerten. In der Richtlinie wird klar gesagt, bei welchen Patient*innen es Sinn ergeben kann, von Dosieraerosolen auf die weniger klimaschädlichen Pulverinhalatoren umzusteigen. Ärztinnen und Ärzte wünschen sich solche klaren Empfehlungen und Leitlinien von ihren Fachgesellschaften.

Auch die Hersteller haben eine Verantwortung. Wenn die Verwendung einer Alternative nicht möglich ist, könnte man zum Beispiel prüfen, ob bei den Inhalatoren nicht trotzdem weniger klimaschädliche Techniken verwendet werden könnten. Ich glaube, da gibt es noch viel Potenzial für Innovationen.

In Ländern wie England, Norwegen und den USA gelten Klima- und Umweltkriterien für Arzneimittel schon länger. Lassen sich diese Maßnahmen auf die EU und damit auf Deutschland übertragen?

Zum Teil schon. Natürlich haben diese Länder andere Strukturen. Trotzdem können wir uns viel abgucken. Ein Aspekt ist, dass wir für das Gesundheitssystem in Deutschland noch keine Klimaziele haben. Laut Klimaschutzgesetz soll das gesamte Land zwar 2045 klimaneutral sein, es gibt aber für den Gesundheitssektor bislang keinen Plan. Emissionen werden nicht systematisch erfasst und es gibt keine wegweisenden Zwischenziele. Großbritannien hat dagegen einen klaren Fahrplan, der etwa Berichts- und Emissionsreduktionspflichten von Herstellern vorsieht. Auch in den Niederlanden gibt es bereits eine Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheits- und Wassersektor, um Arzneimittelrückstände im Wasser zu reduzieren.

Hierzulande könnte ein wichtiger Schritt der Klimapakt Gesundheit sein, den der Bundesgesundheitsminister Ende 2022 mit Organisationen des Gesundheitswesens, der Länder und Kommunen ins Leben rief. Das ist bislang nur eine Absichtserklärung ohne konkrete Maßnahmen in Bezug auf Arzneimittel oder Medizinprodukte, aber in diesem Gremium könnten solche Ziele erarbeitet und alle relevanten Akteure ins Boot geholt werden.

Wie lassen sich solche Maßnahmen umsetzen?

Es ist nicht immer leicht, geeignete Indikatoren zu entwickeln oder zu zeigen, wo klare Kausalitäten bestehen. Doch etwa auf EU-Ebene gibt es Entwicklungen wie den Lieferketten-Richtlinienentwurf mit strengeren Klima- und Umweltauflagen für Unternehmen, die Anlass zur Hoffnung geben. Potenzial besteht auch bei den Zielen, die sich viele Unternehmen selbst für Klima- und Umweltschutz gesetzt haben. Da muss man natürlich genau hinschauen, wie diese umgesetzt werden. Wenn einige Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen, kann das auf andere abfärben. Auch das Bewusstsein im Gesundheitswesen kann gestärkt werden. Das passiert auch teilweise schon. Im pharmazeutischen Bereich gibt es Initiativen wie die Pharmacists for Future, die sich zum Beispiel damit befassen, wie das Thema Nachhaltigkeit in die Aus- und Weiterbildung von Apotheker*innen aufgenommen werden kann.

Wie sehr helfen solche Maßnahmen dabei, Klima und Umwelt zu schützen?

Wir können die Krisen nicht mehr ganz aufhalten, aber jede Abschwächung ist wichtig. Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, an dem viele im Gesundheitswesen die Wichtigkeit von Klima- und Umweltschutz erkannt haben und handeln möchten oder dies bereits tun. Ein Land wie Deutschland mit sehr hohen Pro-Kopf-Emissionen, das dadurch viele Umweltschäden auch in anderen Teilen der Welt mitverursacht, hat da eine ganz besondere Verantwortung. Es ist absurd, dass das Gesundheitssystem, das eigentlich dazu da ist, die Gesundheit zu fördern und zu erhalten, auf der anderen Seite solche Schäden anrichtet.

Vielen Dank für das Gespräch!

Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2024, S. 3
Bild Himmel © Gabriele Maltinti/iStock
Foto von DorotheaBaltruks © Ben Mangelsdor


Das Interview führte Christina Mikalo. Es erschien zuerst in Gute Pillen – Schlechte Pillen.