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Wie versteckte Werbung für Semaglutid in die Medien kam

Der Hype um die Abnehmspritze wird von Akademiker*innen, die Geld vom Hersteller bekommen, massiv gefördert. Das wurde jetzt auch in Deutschland aufgedeckt. Über Interessenkonflikte bei der Erstattungsentscheidung für Semaglutid in England hatten wir bereits berichtet.[1]

Seit Juli 2023 ist das bereits Anfang 2022 in der EU zugelassene Abnehmmittel Wegovy® (Semaglutid) auch in Deutschland verfügbar. Da der Anbieter Novo Nordisk wohl nicht mit so einem großen Erfolg seines Marketings gerechnet hatte, kam er mit der Produktion nicht nach, und vertrieb Wegovy® zunächst nur in den

USA. Das führte zu Lieferengpässen bei dem schon länger zugelassenen Diabetesmedikament Ozempic®, das denselben Wirkstoff enthält und als Abnehmmittel zweckentfremdet wurde. In Deutschland kommt hinzu, dass Medikamente zum Abnehmen im Gegensatz zu Diabetesmitteln grundsätzlich nicht von den Kassen bezahlt werden. Das macht den Off-Label-Gebrauch besonders verlockend.

Letzteres wollen Mediziner*innen ändern, die enge Kontakte zur Pharmaindustrie pflegen. Im Februar veranstaltete das Science Media Center (SMC) eine Pressekonferenz zur Abnehmspritze. Einer der drei Expert*innen war Prof. Jens Aberle, Uniklinikum Hamburg Eppendorf und Präsident der Adipositas-Gesellschaft. Er äußerte sich auf der Pressekonferenz geradezu enthusiastisch: „Gamechanger ist ja so ein Schlagwort, das hier aber absolut zutrifft. Wir hatten noch nie Medikamente, die auch nur in der Nähe einer Effektivität waren, wie wir es jetzt erleben und die dazu noch sicher sind mit guten Endpunktstudien, die uns vorliegen.“[2]

Auch was die Wirksamkeit angeht, war Aberle ziemlich großzügig: „[…] wir sehen, dass Medikamente [eine] Gewichtsreduktion von 20-22, vielleicht in Zukunft 25 Prozent machen.“ In den Studien STEP 1-3 wurde innerhalb eines Jahres im Vergleich zu Diät und Placebo ein Gewichtsverlust zwischen 6,2% und 12,4% erzielt.[3] Das ist deutlich mehr als mit bisherigen Medikamenten, aber weniger als behauptet. Vor allem aber muss das Mittel dauerhaft eingenommen werden, um den Gewichtsverlust zu halten. Derzeit noch ungeklärt ist, ob Semaglutid das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern kann, die Vollpublikation einer entsprechenden Studie steht noch aus.[3]

Nebenwirkungen wurden in der Pressekonferenz von Aberle kleingeredet. „Ja, also klar, Nebenwirkungen gibt es immer. Wobei man sagen muss, dass die jetzt beim Semaglutid verhältnismäßig überschaubar sind.“ Tatsächlich sind Störungen des Magen-Darm-Traktes sehr häufig und nehmen nur teilweise im Behandlungsverlauf ab. An Übelkeit und Verstopfung leidet am Ende der Studie jeweils jede*r Zehnte. Kopfschmerzen, Schwäche und Haarausfall kommen deutlich häufiger als unter Placebo vor. Selten treten Gallenblasenerkrankungen, Nierenschädigungen und Bauchspeicheldrüsenentzündung auf. Die europäische Arzneimittelbehörde untersucht gerade, ob die Suizidalität unter Semaglutid und anderen Wirkstoffen aus der gleichen Gruppe (GLP-1-Agonisten) zunimmt.[3]

Interessenkonflikte verschwiegen

Dass Aberle Geld von Novo Nordisk und anderen Firmen erhielt, erfuhren die auf der Pressekonferenz anwesenden Journalist*innen nicht. Erst kürzlich wurde das durch eine Recherche von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung publik.[4] Gegenüber dem Veranstalter SMC hatte Abele seine Interessenkonflikte nicht angegeben. Doch nicht nur hat der Professor die Zuwendungen an seine Person nicht publik gemacht, er hat auch den Herstellern nicht erlaubt, die Zahlungen an ihn öffentlich zu machen. Andere Vorstandsmitglieder der Adipositas-Gesellschaft waren da offener. Sie erhielten bis zu 39.000 € von Novo Nordisk. Auch die Gesellschaft selbst hängt am Tropf der Industrie: Die Firma gab ihr letztes Jahr 145.000 €, das ist beinahe doppelt so viel wie die Fachgesellschaft durch Mitgliedsbeiträge einnimmt (80.000 €).

Kurz darauf lud die Bild-Zeitung Aberle ein, die Wirkung von Semaglutid zu erklären.[5] Dort forderte er, dass die Krankenkassen die Behandlung übernehmen: „Die Kostenübernahme ist wichtig, denn viele Betroffene können sich eine dauerhafte Therapie mit den neuen Mitteln nicht leisten.“ Auch Bild wurde über die Interessenkonflikte Aberles im Dunkeln gelassen. Auf Anfrage teilte der Axel-Springer-Verlag mit, dass er einen anderen Experten gesucht hätte, wären ihm die Interessenkonflikte des Autors bekannt gewesen.[4]

Milliarden-Geschäft

Die Erstattung durch die Krankenkassen wäre für den Anbieter eine Goldgrube. Die AOK hat errechnet, dass rund 19% der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland stark übergewichtig sind. Würden alle die Spritze erhalten, errechnet die AOK beim derzeitigen Preis von knapp 4.000 € Kosten von 52 Mrd. € – das ist mehr als die jährlichen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Medikamente insgesamt.[4]

Das gemeinwohlorientierte Science Media Center wirbt mit dem Slogan: „Wir liefern Evidenz und Fakten aus den Wissenschaften. Und das unabhängig, schnell und verlässlich.“[6] Wie in Großbritannien[1] wurde es auch in Deutschland diesem Anspruch nicht gerecht. Es muss wohl künftig genauer hinschauen, wie es um die Interessenkonflikte der Expert*innen bestellt ist, die es zu Wort kommen lässt.  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 8/2023, S. 3

[1] Pharma-Brief (2023) Abnehmende Transparenz: Wie Novo Nordisk Stimmung für Schlankheitsmittel macht. Nr. 3, S. 5

[2] SMC (2023) Transkript der Pressekonferenz vom 8. Feb. www.sciencemediacenter.de/fileadmin/user_upload/Press_Briefing_Zubehoer/Transkript_Abnehmspritzen_SMC-Press-Briefing_2023-02-08.pdf [Zugriff 20.10.2023]

[3] arznei-telegramm (2023) Dickes Geschäft: Semaglutid (Wegovy) zur Gewichtsabnahme; 54, S. 57

[4] Edelhoff J und Grill M (2023) Kritik an Hype um Abnehmspritze. Tagesschau 5. Okt. www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/abnehm-spritze-wegovy-100.html [Zugriff 20.10.2023]

[5] Aberle J (2023) Die Wahrheit über die Abnehm-Spritze. Bild+ 12. März www.bild.de/bild-plus/ratgeber/2023/ratgeber/neue-medikamente-versprechen-schnellen-erfolg-die-wahrheit-ueber-die-abnehm-spri-83172668.bild.html [Zugriff 20.10.2023]

[6] SMC – das Science Media Center Germany www.sciencemediacenter.de/das-smc/das-smc [Zugriff 22.10.2023]