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Gespräch mit Peter Wiessner über die UN-High Level Meetings

Peter Wiessner arbeitet für das Aktions­bündnis gegen AIDS, bei dem die Pharma-Kampagne Mitglied ist.

Gleich drei HLMs direkt hintereinander weg – der Tenor in der „Global Health Community“ war danach verhalten. Du warst bei den High Level Meetings (HLM) vor Ort, würdest Du diese Einschätzung teilen?

Gemeinsames Ziel der Gipfel in New York war es, die Weichen zur Bewältigung der akuten gesundheitsbezogenen Herausforderungen bis 2030 zu stellen, dem Zeitpunkt also, den die Weltgemeinschaft zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele gesetzt hat.

Die Ergebnisse der Gipfeltreffen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück: Verabschiedet wurden schwache Texte voller unverbindlicher Absichtserklärungen, die nichts anderes als einen Minimalkonsens

der involvierten Staatengemeinschaft dar­stellen. Erklärungen, die niemanden weh tun, vor allem nicht der pharmazeuti­schen Industrie und den privilegierten Industrienationen: Das Menschenrecht auf Gesundheit gilt weiterhin weniger als das Recht der Industrie auf Gewinnmaximierung.

Während des Aushandlungsprozesses der Erklärungen wurden zu viele Zugeständnisse gemacht: So fehlt in der Abschlusserklärung zu UHC beispielsweise die Benennung der für die HIV-Prävention besonders relevanten Zielgruppen wie beispielsweise Männer, die Sex mit Männern haben, anderen LGBTIQ+ Communities, Drogengebrauchende und Sexarbeiter*innen.

Ganz offensichtlich haben sich hier jene Staaten durchgesetzt, die diesen Gruppen ihre Existenz, Rechte und Bedarfe absprechen. Dass so eine Gesundheitsversorgung für alle – der Grundgedanke von UHC – nicht erfolgreich umgesetzt werden kann, ist offensichtlich.

Andere Schwachstellen beziehen sich auf Formulierungen zu Frauenrechten, sexueller und reproduktiver Gesundheit, Wahrnehmung sexueller Identitäten und die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements in der Gesundheitsfürsorge und Prävention. Klarheit und Ehrlichkeit wurden hier eindeutig der Konsensfindung geopfert. Die Texte bleiben hinter getroffenen Vereinbarungen aus früheren Jahren zurück.

Am ehesten sah man bei dem HLM zu TB konkrete Fortschritte …

In der Tat stellt die Abschlusserklärung zu TB eine erfreuliche Ausnahme dar: Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben sich unter anderem dazu verpflichtet, zwischen 2023 und 2027 bis zu 45 Millionen Menschen eine lebensrettende Behandlung zukommen zu lassen, darunter bis zu 4,5 Millionen Kindern und bis zu 1,5 Millionen Menschen mit arzneimittelresistenter Tuberkulose. Für bis zu 45 Millionen Menschen soll der Zugang zu präventiven Behandlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dazu wurden konkrete Finanzierungszusagen getroffen: Die jährlichen Mittel für Tuberkulose sollen auf mehr als das Vierfache des derzeitigen Niveaus (5,4 Mrd. US$) erhöht werden, um bis 2027 jährlich 22 Mrd. US$ zu erreichen und bis 2030 auf 35 Mrd. US$ anzuwachsen. Die Mitgliedstaaten verpflichteten sich außerdem, bis 2027 jährlich 5 Mrd. US$ für die Tuberkuloseforschung und -innovation bereitzustellen – eine Verfünffachung des derzeitigen Betrags.

Warum ist es gerade bei TB so wichtig, dass es endlich schneller vorangeht?

Die katastrophalen Zahlen sprechen für sich: Nach Angaben der WHO starben im Jahr 2021 1,6 Millionen Menschen an TB. Global gesehen ist eine TB Ko-Infektion die Haupttodesursache für Menschen mit HIV. Die meisten Todesfälle wären vermeidbar. TB ist eine armutsassoziierte Erkrankung, die verhütet und behandelt werden kann. Um dies zu erreichen, müssen bisherige Anstrengungen aktiviert werden. Dies betrifft sowohl den Bereich der Forschung, aber auch strukturelle Maßnahmen, wie die Einbeziehung der mit TB lebenden Communities, die Stärkung von Gesundheitssystemen und gegen Stigma und Diskriminierung gerichtete Maßnahmen. Die Entwicklung neuer Medikamente mit verkürzter Behandlungsdauer und besserer Verträglichkeit und Impfstoffen gegen alle Formen der Tuberkulose sind nötig. Auch müssen die Verantwortlichen für Orte und Settings, in denen TB übertragen wird, endlich mit einbezogen werden: Gefängnisse, Unterkünfte, Minen etc..

Wie sah es mit der Beteiligung der deutschen Politik bei den HLMs vor Ort aus?

An dem Gipfel nahmen Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Bundeministerinnen Annalena Baerbock und Svenja Schulze teil. Gesundheitsminister Karl Lauterbach glänzte dagegen durch Abwesenheit. Das ist sehr bedauerlich, da dem Bundesgesundheitsministerium bei der Lösung der Herausforderungen der globalen Gesundheit eine wichtige Rolle zukommt, so ist das Ministerium zum Beispiel für die Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation zuständig. Die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung Deutschlands als „Global Health Champion“ und der Unterstützung durch das Bundesgesundheitsministerium könnte größer kaum sein: Dies drückt sich auch durch die magere Unterstützung beispielsweise der Arbeit von UNAIDS aus.

Die letzten Jahre war auch stets eine deutsche Delegation mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vor Ort …

Ich habe für das Aktionsbündnis gegen AIDS die Prozesse in New York beobachtet. Leider brach die Bundesregierung mit der bisherigen Tradition, eine offizielle Delegation mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zusammenzustellen, obwohl sie durch uns mehrfach dazu aufgefordert wurde. Für uns hatte dies die Konsequenz, dass wir keinen Zugang zu den Räumlichkeiten der eigentlichen Treffen hatten. Uns und anderen Vertreter*innen der deutschen Zivilgesellschaft wurde dadurch die Möglichkeiten beschnitten, Forderungen direkt zu artikulieren oder auch, wie in früheren Jahren, mit der deutschen Vertretung bei den Vereinten Nationen Veranstaltungen durchzuführen.  Nicht nur in autokratischen Staaten, sondern auch bei uns in Deutschland verringern sich die Möglichkeiten des zivilgesellschaftlichen Engagements – Stichwort „Shrinking Spaces“ –. Wir sollten uns das als Zivilgesellschaft nicht länger bieten lassen.

Nach dem HLM ist vor dem HLM: Warum wird das nächste Meeting 2024 zu antimikrobiellen Resistenzen für globale Gesundheit wichtig sein?

Es ist gut, wenn sich die Vereinten Nationen Fragen der globalen Gesundheit widmen. Es sei hier daran erinnert, dass die Vereinten Nationen im Vergleich zum Zusammenschluss der G20, der G7 oder der BRICS-Staaten ein höheres Maß an Legitimität mitbringen. Ein Ende der Zusammenarbeit bei Fragen der globalen Gesundheit, beispielsweise der HIV, Tuberkulose und Malariabekämpfung, würde das Leben von Millionen Menschen leichtfertig aufs Spiel setzen. Im kommenden Jahr ist ein HLM zu antimikrobiellen Resistenzen (AMR) vorgesehen, ein Thema, das in der Gesundheitsversorgung, in der Tierhaltung, aber auch bei Hygienemaßnahmen, beispielsweise in Krankenhäusern, eine große Rolle spielt.

Wenn die Resistenzentwicklung nicht ge­stoppt wird, könnte es bald sein, dass heute noch heilbare Krankheiten morgen nicht mehr erfolgreich behandelt werden können. Es braucht dringend neue Antibiotika, eine Herausforderung, die staatlichen Einsatz braucht und die sicherstellen muss, dass a) Forschung im Bereich AMR unterstützt wird und b) neue Medikamente allen zur Verfügung stehen. Das UN HLM zu AMR gibt uns die Möglichkeit mit der Bundesregierung darüber in Diskussion zu treten. Dann hoffentlich wieder in einem transparenten Prozess der die Teilnahme der Deutschen Zivilgesellschaft an dem Treffen gewährleistet. Falls das Thema dann auch noch das Interesse unseres Bundesgesundheitsministers wecken sollte, könnte es im kommenden Jahr zu einem spannenden Austausch kommen!

Die Fragen stellte Max Klein

Artikel aus dem Pharma-Brief 8/2023, S. 6
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