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Wie die Tabakindustrie zweimal Geld verdient

Die großen Tabakkonzerne investieren im großen Stil in die Pharmaindustrie. Dabei geht es auch um Produkte gegen Erkrankungen, die durch das Rauchen verursacht werden oder sich dadurch verschlimmern. Damit schaffen sich die Tabakhersteller ihren eigenen Markt. Das deckt eine Recherche von „The Investigative Desk“ auf, die in der Nederlands Tijdschrift voor Geneeskunde erschien.[1]

Der Tabakproduzent Philip Morris hat das Pharmaunternehmen Ventura aufgekauft, dass Inhalatoren und inhalierbare Medikamente gegen Asthma und chronische Lungenerkrankungen anbietet.

Bei Weitem kein Einzelfall: Die vier größten Tabakhersteller Philip Morris International/Altria, British American Tobacco (BAT), Japan Tobacco International (JTI) und Imperial Brands haben in den letzten Jahren massiv in medizinische Produkte investiert.

Tabak bleibt wichtig

Während in fast allen reichen Ländern wegen Aufklärung, Verboten und hohen Steuern die Raucher*innenquote zurückgeht, wächst der Tabakmarkt in Asien und Afrika. In Afrika wird erwartet, dass der Anteil der Raucher*innen von 15,8% im Jahr 2010 bis 2030 auf 21,9% steigt. Dafür sind im Wesentlichen die aggressiven Marketingstrategien der großen Vier verantwortlich, die auch vor illegalen Praktiken nicht zurückschreckten.[2]

Woran die Tabakaindustrie verdient

The Investigative Desk hat fast 90 Pharmaprodukte unter die Lupe genommen, hinter denen die Tabakkonzerne stehen. Ungefähr die Hälfte sind für Asthma, COPD, Arterienverkalkung, Herzinfarkte, Krebs und Diabetes gedacht – alles Erkrankungen, die durch Rauchen verursacht werden oder im Zusammenhang mit Rauchen häufiger auftreten.

Bevor Philip Morris 2021 Vectura übernahm, gab es in Großbritannien einen Aufschrei. Sarah Woolnough, Geschäftsführerin von Asthma UK und der British Lung Foundation, sagte: „Jedes Jahr sterben in Großbritannien 90.000 Menschen an Erkrankungen wie der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), die mit dem Rauchen in Verbindung gebracht werden. Es ist inakzeptabel, dass Unternehmen, die von den Verwüstungen, die Rauchen anrichtet, profitiert haben, dann mit den Behandlungen von Krankheiten, die sie verursacht haben, sogar noch mehr Geld verdienen können.“[3]

Der Pharmazweig von JTI entwickelte Medikamente gegen Psoriasis und atopische Ekzeme. Rauchen hat einen negativen Einfluss auf den Verlauf dieser Hautkrankheiten. 1999 erwarb JTI die exklusiven Rechte zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Lungenkrebs von der amerikanischen Firma Corixa, sie wurden später an GlaxoSmithKline (GSK) abgegeben.

Die Tabakindustrie lässt ihre Kund*innen „zweimal durch die Kasse gehen“: einmal für die Zigaretten, die sie rauchen, und nochmals für Heilmittel gegen die Folgen. Tabakhersteller schaffen damit unethisch ihren eigenen Absatzmarkt.[1]

Jenseits von Nikotin

Die „Transforming Beyond Nicotine“ Strategie von Philip Morris umfasst nicht nur Ersatzprodukte für Zigaretten, sondern breite Investitionen im Pharmasektor. Das gilt für die Konkurrenten, deren Strategien „Beyond Smoke“ (Imperial Brands) oder „Wir erfinden uns selbst neu“ (JTI) heißen, gleichermaßen.

JTI war mit der Gründung einer Pharmasparte im Jahr 1987 Vorreiter. Größere Akquisitionen 1998 und 2000 brachten ein breites Portfolio von Medikamenten gegen verschiedenste Krankheiten. Philip Morris kaufte 2021 gleich drei Firmen auf, die inhalierbare Herzmedikamente, Nikotinkaugummi und mit Vectura eben Inhalatoren herstellen.

BAT und Imperial Brands wiederum investieren in medizinisches Cannabis, das unter anderem gegen Schmerzen in der Krebstherapie eingesetzt wird.

Die Verflechtungen mit der Pharmaindustrie sind eng. So hat AstraZeneca von JTI eine Lizenz zur Entwicklung einer Immuntherapie gegen Krebs bekommen. GlaxoSmithKline zahlt für die Verwendung eines Hilfsstoffes für seine Inhalationen Lizenzgebühren an Vectura.

Ärzt*innen in Großbritannien und den Niederlanden diskutieren, ob es ethisch vertretbar ist, von der Tabakindustrie produzierte Medikamente zu verschreiben oder es nicht besser ist, wo immer möglich, alternative Wirkstoffe einzusetzen.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 6-7/2023 S. 8
Bild TabakPille (Montage) © Phacharason Mongkhonwikuldit © FotografiaBasica/iStock

 

[1] van den Berg I en de Jeu M (2023) De ‘Beyond Nicotine’-strategie. Ned Tijdschr Geneeskd; 167, p C5480

[2] Crosbie E et al. (2021) Tobacco supply and demand strategies used in African countries. Bull World Health Organ; 99, p 539 http://dx.doi.org/10.2471/BLT.20.266932

[3] Davies R (2021) Health charities voice concern at Philip Morris’s £1bn bid for Vectura. Guardian, 9 Aug www.theguardian.com/business/2021/aug/09/philip-morris-and-carlyle-face-possible-auction-contest-for-vectura [Zugriff 20.9.2023]