Deutsches Engagement gegen NTDs bleibt hinter den Erwartungen zurück

Das Thema vernachlässigte Tropenkrankheiten (neglected tropical diseases/NTDs) wurde seit dem Start der Ampelkoalition mehrfach prominent von der deutschen Politik aufgegriffen. Wirklich neue Impulse in der Praxis sind jedoch bislang weniger erkennbar, wie das Beispiel der Förderung von Produktentwicklungspartnerschaften zeigt.

Die Bundesregierung hat Ende 2021 im Koalitionsvertrag erklärt, sie wolle „die Bekämpfung von armutsassoziierten und vernachlässigten Tropenkrankheiten intensivieren.“[1] Das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ) konstatierte im März 2022: „Nach zwei Jahren COVID-Pandemie hat sich die neue Bundesregierung entschlossen, dem Thema Gesundheit auch in der Entwicklungszusammenarbeit wieder einen höheren Stellenwert beizumessen. Dazu gehört ein verstärkter Einsatz gegen die NTDs.“[2] Deutschland trat zudem Anfang 2022 symbolträchtig als erstes Land außerhalb des Globalen Südens der sogenannten Kigali-Deklaration bei, die der globalen Bekämpfung von NTDs einen neuen Schub verleihen soll.[3] Dahinter steht allerdings die nicht unumstrittene industrielastige Initiative „Uniting to combat neglected tropical diseases“, die 2012 mit Hilfe der Gates Stiftung gegründet wurde.[4]

Der Kampf gegen diese sehr heterogene Gruppe von Krankheiten – die WHO-Liste umfasst ihrer zwanzig[5] – hat in der globalen Gesundheitspolitik in den letzten zehn Jahren an Sichtbarkeit gewonnen und einige Erfolge sind messbar. Zum Welt-NTD-Tag am 30. Januar bekam die mögliche zeitnahe Ausrottung von Erkrankungen durch den Guinea-Wurm viel öffentliche Aufmerksamkeit.[6] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte Anfang des Jahres mit, dass 2022 acht Länder mindestens eine vernachlässigte Tropenkrankheit eliminieren konnten.[7]

Wie drängend der Handlungsbedarf jedoch weiterhin ist, zeigt ein verheerender Dengue-Ausbruch in Bolivien seit Anfang diesen Jahres. In Santa Cruz de la Sierra, der bevölkerungsreichsten Stadt des Landes, waren im Februar die Krankenhäuser unter dem enormen Anstieg von Fällen kollabiert und besonders Kinder von schweren Verläufen betroffen.[8] Im Laufe des Monats wurde schließlich auch für andere Regionen des Landes „Alarmstufe rot“ ausgerufen.[9]

Mahnung an den Bundestag

Im Unterausschuss „Globale Gesundheit“ des Bundestages machte Jürgen May als geladener Experte am 23. Januar deutlich, warum gerade ein wichtiger Forschungsstandort wie Deutschland bei seinem Engagement gegen NTDs einen Schritt nach vorne machen müsste. Der Leiter des Hamburger Bernhard-Nocht-Instituts erläuterte die vielfältigen Herausforderungen. Als wichtige Ansatzpunkte nannte er zum Beispiel die Armutsbekämpfung und verbesserte Trinkwasserversorgung sowie Hygienemaßnahmen. Zum Marktversagen bei vernachlässigten Tropenkrankheiten bezog er deutlich Stellung: „Ein Dilemma besteht darin, dass globale pharmazeutische und biotechnische Unternehmen über das notwendige wissenschaftliche Fachwissen bei der klinischen Entwicklung zu Medikamenten und Vakzinen verfügen und auch über die finanziellen Ressourcen, aber meistens gibt es wenig oder kein kommerzielles Interesse an Investitionen in diesem Bereich, kaum Interesse daran, sie für arme Patienten erschwinglich, zugänglich und zuverlässig zu machen.“[10]

Umso wichtiger wäre mehr öffentliche geförderte Forschung. Momentan scheint es allerdings leider so, als würde die Bundesregierung trotz warmer Worte des Engagements eher auf ein schlichtes „Weiter so“ setzen. Ein plastisches Beispiel dafür ist die Unterstützung von Produktentwicklungspartnerschaften (PDPs), die helfen sollen, Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe bis zur Zulassungsreife zu bringen. Seit 2011 sind sie Teil des Portfolios des Bundesforschungsministeriums (BMBF) für „Vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten“ [11] und damit einer von fünf Hauptbestandteilen der deutschen Förderung zur NTD-Forschung.[12]

Abermals vernachlässigt

PDPs erfreuen sich hierzulande im politischen Raum parteiübergreifend großer Beliebtheit, auch bei der Unterausschusssitzung standen sie im Rampenlicht. Diese Konstrukte sind teils sehr unterschiedlich, jedoch wegen der mitunter starken Prägung durch große Stiftungen und/oder die Industrie nicht unproblematisch. PDPs sind kein Allheilmittel, sie können aber ein sinnvolles Instrument im Zuge sozialverträglicher Verwertung sein.[13] Ein näherer Blick zeigt allerdings spezifische Unzulänglichkeiten in der deutschen Förderung im Bereich NTDs.

In der ursprünglichen PDP-Förderrichtlinie von 2011 lag das Augenmerk auf NTDs sowie „auf Krankheiten, die zu hoher Mortalität bei Kindern und Schwangeren in Entwicklungsländern führen“.[14] Von den sogenannten „Großen Drei“ – HIV/Aids, Tuberkulose (TB) und Malaria – wurden zwei, nämlich HIV/Aids und TB, von dieser Förderlinie ausgeschlossen. [14] Entsprechend ausgeprägt war der NTD-Fokus der vier PDPs, die schließlich Gelder erhielten. [15] In der zweiten Förderphase ab 2016 sah dies anders aus: Vier der diesmal sechs geförderten PDPs arbeiteten zu den Großen Drei, HIV/Aids und TB inklusive.[15]

Für die nach einer Übergangsfinanzierung[16] 2023 gestartete dritte Förderrunde deutet sich eine ähnliche Schräglage an. Noch hat das BMBF keine Bekanntmachung veröffentlicht, aber nach Informationen der Pharma-Kampagne haben drei der fünf PDPs mit denen momentan Verträge ausgehandelt werden ihren Fokus auf HIV/Aids oder TB. Überspitzt ließe sich sagen, dass NTDs Gefahr laufen, selbst in ihrer eigenen Förderlinie vernachlässigt zu werden.

Verstärkter Einsatz?

Es steht außer Frage, dass weiter substanzieller Forschungsbedarf bei den Großen Drei besteht, etwa für Antibiotika gegen TB und breit anwendbare Impfstoffe. Dies gilt umso mehr, da die Covid-19-Pandemie die Bekämpfung hart getroffen und bereits erzielte Fortschritte in vielen Regionen zunichte gemacht hat.[17] Gleichzeitig kann nicht ignoriert werden, dass die Dimensionen der globalen Forschungsförderung im Vergleich zwischen den Großen Drei und den NTDs extrem auseinanderklaffen und die Gestaltung der deutschen PDP-Förderlinie dazu beiträgt.

Zahlen des sogenannten G-Finder, einer Referenzpublikation zu dem Mittelfluss in der weltweiten Forschung zu vernachlässigten Erkrankungen, verdeutlichen das Gefälle. Im Jahr 2021 betrugen die Ausgaben 4,1 Mrd. US$. Davon entfielen aber zwei Drittel (2,8 Mrd. US$) auf HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria. Den Rest teilen sich die übrigen vernachlässigten Krankheiten, darunter auch die NTDs. Für Forschung zu Schlangenbiss-Vergiftungen standen zum Beispiel gerade einmal knapp 18 Mio. US$ zur Verfügung.[18]

Die Tatsache, dass vom deutschen Forschungsministerium die Großen Drei und NTDs in einer Förderlinie subsummiert werden, mag praktische Gründe haben, verwischt aber den bescheidenen Umfang des deutschen Engagements zu Chagas, Bilharziose und Co. Umso problematischer: Während es von der ersten auf die zweite PDP-Förderphase einen deutlichen Aufwuchs an Gesamtmitteln gab,[19] droht jetzt von der zweiten auf die dritte womöglich sogar eher eine Abnahme. Offizielle Zahlen zur aktuellen Förderung der NTD-Forschung durch PDPs gibt es noch nicht, nach uns vorliegenden Informationen handelt es sich um eine Summe im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Ein „verstärkter Einsatz“ sieht anders aus.  (MK)

Bild © Paralaxis/iStock

 

[1] SPD, Bündnis 90/Die Grünen & FDP (2021) Mehr Fortschritt wagen. www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1 [Zugriff 20.2.2023]

[2] BMZ (2022) Deutschlands Beitrag gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten. https://health.bmz.de/de/reportagen/unsichtbare-krankheiten-deutschlands-beitrag-im-kampf-gegen-vernachlassigte-tropenkrankheiten/ [Zugriff 21.2.2023]

[3] WHO (2020) Ending the neglect to attain the Sustainable Development Goals: a road map for neglected tropical diseases 2021-2030. www.who.int/publications/i/item/9789240010352 [Zugriff 13.3.2023]

[4] Pharma-Brief (2012) WHO oder Industrie? Nr. 1, S. 1

[5] Dabei handelt es sich teilweise um Gruppen von Erkrankungen.

[6] Kreier F (2023) Just 14 cases: Guinea worm disease nears eradication. Nature, 11 Feb. www.nature.com/articles/d41586-022-00385-z [Zugriff 21.2.2023]

[7] Coleman J (2023) Acht Länder rotten Tropenkrankheiten aus. Spektrum, 15. Feb. www.spektrum.de/news/tropenkrankheiten-acht-laender-rotten-gefaehrliche-krankheiten-aus/2109399 [Zugriff 21.2.2023]

[8] Molina F (2023) Bolivia sufre la peor epidemia de dengue en diez años. El Pais, 15 Feb. https://elpais.com/internacional/2023-02-15/bolivia-sufre-la-peor-epidemia-de-dengue-en-diez-anos.html [Zugriff 20.2.2023]

[9] Lytton C (2023) What is driving Bolivia´s worst dengue crisis in 25 years? The Telegraph, 3. März www.telegraph.co.uk/global-health/science-and-disease/what-driving-bolivias-worst-dengue-crisis-25-years/ [Zugriff 3.3.2023]

[10] Unterausschuss für Globale Gesundheit (2023) Forschung und Innovationen für vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten. Anhörung am 23. Jan www.bundestag.de/ausschuesse/a14_gesundheit/glg/anhoerungen/929760-929760 [Zugriff 21.2.2023]

[11] BMBF (2011) Förderkonzept Vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten www.gesundheitsforschung-bmbf.de/files/vernachlaessigte_armutsassoziierte_krankheiten.pdf [Zugriff 13.3.2023]

[12] Jürgen May hob im Unterausschuss auch die anderen vier hervor: Die Arbeit von EDCTP und dem DZIF zum Bereich NTDs, die DFG-Ausschreibung zu „German-African Cooperation Projects in Infectiology“ sowie die „Research Networks for Health Innovations in Sub-Saharan Africa“ des BMBF.

[13] Pharma-Brief (2018) Leitfaden für sozialverträgliche Verwertung. Spezial Nr. 1

[14] BMBF (2011) Förderrichtlinie zur Entwicklung von Produkten zur Prävention, Diagnose und Behandlung von vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten. www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/forderrichtlinie-zur-entwicklung-von-produkten-zur-pravention-diagnose-und-behandlung-von-6162.php [Zugriff 13.3.2023]

[15] Deutscher Bundestag (2020) Sachstand Produktentwicklungspartnerschaften www.bundestag.de/resource/blob/816054/ef9e18c9fe5a04dd8e7d87021e7ffe68/WD-8-069-20-pdf-data.pdf [Zugriff 13.3.2023]

[16] DNDi (2022) Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bewilligt zusätzliche Mittel an sechs PDPs zur Bekämpfung von vernachlässigten, armutsassoziierten Tropenkrankheiten. https://dndi.org/press-releases-translations/2022/bmbf-bewilligt-zusatzliche-mittel-an-sechs-pdps-zur-bekampfung-von-vernachlassigten-armutsassoziierten-tropenkrankheiten [Zugriff 13.3.2023]

[17] Pharma-Brief (2022) Globale Gesundheit in der Krise, Spezial Nr. 1

[18] Policy Cures Research (2023) Neglected diseases research and development: the status quo won’t get us there. https://policy-cures-website-assets.s3.ap-southeast-2.amazonaws.com/wp-content/uploads/2023/02/09104948/2022-G-FINDER-Neglected-Disease-report.pdf [Zugriff 13.3.2023]

[19] BMBF (ohne Jahr) Produktentwicklungspartnerschaften – Product Development Partnerships (PDP). www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/produktentwicklungspartnerschaften-product-development-partnerships-pdp-8293.php [Zugriff 13.3.2023]