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In letzter Zeit überschlugen sich die Meldungen über fehlende Fiebersäfte für Kinder, aber auch bei wichtigen Krebsmedikamenten gibt es Versorgungslücken. Dabei ist das Problem nicht neu, ExpertInnen warnen seit Jahren immer wieder vor Engpässen.

Vor Dramatisierungen sollte man sich allerdings hüten. Die meisten Lücken sind kurzfristig und oft kann auf andere Mittel ausgewichen werden. Ganz anders sieht es in weiten Teilen des Globalen Südens aus. Dort sind nicht verfügbare Medikamente ein Dauerproblem. Selbst Überlebenswichtiges wie Insulin oder Krebsmittel ist angesichts schwacher Gesundheitssysteme und geringer Einkommen für Kranke oftmals unbezahlbar. Bereits in den östlichen EU-Ländern bringt Big Pharma teure Neueinführungen öfter gar nicht erst auf den Markt. Hierzulande ist Geld keine Barriere und Lieferprobleme sind noch die Ausnahme. Dennoch gibt es auch bei uns genug Gründe zu handeln. Denn die Lieferengpässe sind ein wachsendes Problem.

Kassen-Bashing

Die Krankenkassen aufgrund ihrer Rabattverträge für angeblich nicht mehr kostendeckende Preise verantwortlich zu machen, greift zu kurz. Der Bundestag schuf 2006 die gesetzliche Grundlage für die Ausschreibung generischer Wirkstoffe durch die Kassen mit dem erklärten Ziel, die stetig steigenden Arzneimittelkosten zu dämpfen. Trotz niedrigerer Preise gab es in den vergangenen Jahren bei den Rabattarzneimitteln weniger Lieferausfälle als auf dem freien Markt. Schließlich verschaffen Rabattverträge den Firmen, die den Zuschlag erhalten, planbare Einnahmen. Die Rabattverträge haben auch nicht zu einer Konzentration auf wenige Anbieter geführt, das Gegenteil ist der Fall.[1]

2020 nahmen die AOK in die Ausschreibungen erstmals Klauseln auf, mit denen der Anbieter sicherstellen muss, „dass weder seine eigene Produktion noch die seiner Zulieferer die Gesundheit der Beschäftigten oder die Umwelt“ gefährden und dass ein mindestens drei Monate reichender Vorrat angelegt werden muss.[2] Die Pharmaindustrie zeigte sich wenig begeistert.

Ungesunde Profiterwartungen

Die wichtigere Frage ist, was in der Pharma­branche noch als profitabel gilt und da haben sich die Maßstäbe in den letzten Jahren massiv verschoben. Mit neuen patentgeschützten Arzneimitteln lässt sich extrem viel Geld verdienen. Dazu ein Beispiel: Krebsmedikamente waren schon immer etwas teurer. Obwohl sie nur 0,6% aller Verschreibungen ausmachen, verursachten sie 2011 bereits 5,7% der Arzneimittelkosten der Krankenversicherung. 2021 waren es schon 20,7% – Tendenz weiter steigend. Der Anteil der patentgeschützten Medikamente an den Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nimmt stetig zu. 21 Firmen verursachen gut 50% der gesamten Arzneimittelausgaben der GKV, sie haben im Schnitt eine Gewinnrate von 25,7%.[3]

Trotzdem wird eher bei Generika als bei patentgeschützten Medikamenten an der Kostenschraube gedreht. Die 2011 eingeführte Nutzenbewertung bei neuen Medikamenten bringt zwar Einsparungen bei den teuren Neueinführungen. Die Profitträchtigkeit von Big Pharma hat sie aber nicht gebremst.

Qualitätsmängel

Dazu kommen Qualitätsprobleme, die durch den Druck zur billigeren Produktion verstärkt werden. Auch wenn viele Hersteller im Globalen Süden sauber produzieren, gibt es wegen mangelnder Kontrolle immer wieder Skandale. In den letzten Monaten gab es eine Reihe von Vorfällen mit Husten- und Fiebersirup aus Indien, der durch schlampige Produktion Diethylenglykol (bekannt als Kühlerfrostschutz) enthielt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte vor giftigen Produkten, die in mindestens sieben Ländern, darunter Gambia, Indonesien und Usbekistan, verkauft wurden. Nach Angaben der WHO starben mehr als 300 Kinder.[4] Näher kam uns 2018 die Verunreinigung von Herzmedikamenten mit krebserregenden Nitrosaminen, die in Deutschland zum Rückzug zahlreicher Generika über einen längeren Zeitraum führte. Übrigens ein krasses Versagen der europäischen Kontrollbehörden, die dem chinesischen Grundstoffhersteller grünes Licht für ein kostengünstigeres Produktionsverfahren gaben, das anfällig für Verunreinigungen ist.[5] Nur durch einen Whistleblower flog die Sache auf. Bis heute werden immer wieder neue Wirkstoffe entdeckt, die mit Nitrosaminen verunreinigt sind.[6] Bessere Qualitätskontrollen in der globalen Lieferkette sind also unentbehrlich.

Die Tendenz zur Gewinnsteigerung führt teils zu einer Konzentration auf wenige Rohstoffhersteller. Das ist ein Zustand, der tatsächlich nur durch regulierende staatliche Eingriffe geändert werden kann.

Vorschläge des BMG

Das Bundesgesundheitsministerium hat Mitte Dezember 2022 Eckpunkte zur Vermeidung von Lieferengpässen veröffentlicht.[7] Sie enthalten eine Reihe von sinnvollen Maßnahmen wie die Diversifizierung der Bezugsquellen (übrigens schon länger eine Forderung der Kassen) und mehr Verpflichtungen zur Lagerhaltung. Dass Rabattverträge und Festbeträge jetzt einfach ausgehebelt werden können, bezeichneten die Kassen allerdings als „[…] Weihnachtsgeschenk für die Pharmaunternehmen. Aber ob deshalb künftig Medikamente verlässlicher in Richtung Europa geliefert oder vielleicht sogar wieder mehr produziert werden, steht in den Sternen.“ [8] Dass die Kosten für die Versicherten steigen, ist jedoch vorhersehbar.

Krankes System

Das Kernproblem ist ein monopolisierter Markt mit Produkten von oft fraglichem (Zusatz-)Nutzen. Das auf einem ausufernden Patentschutz hinarbeitende Forschungssystem hat versagt. Es beschert uns Mondpreise und verhindert in vielen Teilen der Welt die Versorgung von Erkrankten. Was wenig Profit verspricht, bleibt auf der Stecke. Wichtige Forschung findet nicht statt, weil sie „nicht lohnt“. Es bleibt dabei: Der Fisch stinkt vom Kopf her.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2023
Bild © WHO

[1] Schröder H et al. (Hrsg.) (2021) Arzneimittelkompass 2021 Berlin: Springer, S. 260ff

[2] AOK (2020) Arzneimittelrabattverträge: AOK sanktioniert Umweltsünden und stärkt Liefersicherheit. Pressemitteilung 20. Juli www.aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2020/index_23785.html [Zugriff 24.1.2023]

[3] EBIT; Schröder H et al. (2021) a.a.O., S. 263ff

[4] WHO (2023) WHO urges action to protect children from contaminated medicines. Statement 23 Jan www.who.int/news/item/23-01-2023-who-urges-action-to-protect-children-from-contaminated-medicines [Zugriff 24.1.2023]

[5] arznei-telegramm (2018) Von Valsartan bis Lunapharm. 49, S. 73 https://www.arznei-telegramm.de/html/2018_09/1809073_02.html

[6] Das arznei-telegramm berichtet immer wieder über Verunreinigungen mit Nitrosaminen. Seit 2018 gibt es über 20 Artikel dazu. www.arznei-telegramm.de

[7] BMG (2022) Eckpunktepapier. Vermeidung von Lieferengpässen von Arzneimitteln [Zugriff 8.2.2023]

[8] Pfeiffer D (2022) Medikamentengipfel statt Weihnachtsgeschenke für die Pharmaindustrie. GKV-Spitzenverband www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/pressemitteilungen_und_statements/pressemitteilung_1549568.jsp [Zugriff 24.1.2023]

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in analyse & kritik und wurde für den Pharma-Brief erweitert und aktualisiert.