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Pharmaindustrie will mehr Förderung von Deutschland

Milliarden an öffentlichen Geldern stecken in der Erforschung neuer Therapien. Geht es nach der Pharma­lobby, muss es mehr werden. Der Staat soll zusätzlich auch noch Investitionsrisiken absichern. Gewinne will die Branche aber nicht teilen.

Eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags am 1. März 2023 wirft ein Schlaglicht auf den Einfluss der Industrie auf die Politik. Basis war ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Deutschland als Innovations-, Biotechnologie- und Pharmastandort stärken, EU-Mittel sichern […]“. Auf Vorschläge der Parteien waren als Sachverständige IndustrielobbyistInnen, ein Wirtschaftsprofessor und eine Vertreterin der Chemiegewerkschaft geladen, einzige unabhängige Stimme war die Pharma-Kampagne.[1]

Grundlagen legt der Staat

Überraschend war, dass sich die Erzählung, wer forscht, geändert hat. Die Branche hat jahrzehntelang den Mythos gepflegt, dass sie ganz alleine in der Lage sei, neue Medikamente zu entwickeln. Jetzt wird sowohl im CDU/CSU-Antrag als auch in den Stellungnahmen ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Grundlagenforschung eine öffentliche Aufgabe ist. Dafür soll der Staat noch mehr Geld geben, SpitzenwissenschaftlerInnen mit hohen Gehältern an die Universitäten binden und zusätzlich die Einkommenssteuer senken, weil die in den USA ja auch niedriger sei.

Bei den Forschungsergebnissen möchte sich die Industrie weiter frei bedienen. Die Frage nach den Bedingungen für die anschließende Verwertung der in der Grundlagenforschung gewonnenen Erkenntnisse im Sinne von „Public Return on Public Investment“ wird nur von der Pharma-Kampagne zum Thema gemacht: Warum fließen keine Mittel in die öffentlichen Kassen zurück, wenn ein Produkt kommerziell extrem erfolgreich ist?

Den Goldesel mit Geld ­füttern?

Auf die fragliche Notwendigkeit für staatliche Förderung machte die Pharma-Kampagne in ihrem Statement aufmerksam: Die Zahl der neu zugelassenen Arzneimittel hat in den letzten Jahren zugenommen. Es ist deshalb erst einmal schwer verständlich, warum der Staat noch mehr fördern soll.

Auch angesichts der üppigen Gewinnraten der Branche erscheint der Ruf nach mehr Geld fragwürdig. Gut die Hälfte der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2020 entfielen auf Produkte von gerade einmal 21 Firmen. Diese großen international tätigen Hersteller, die teure patentgeschützte Medikamente anbieten, erzielten einen Gewinn vor Steuern (EBIT) von durchschnittlich 25,7% ‒ eine Profitrate, von der andere Branchen nur träumen können.[2] Auch im langjährigen Trend erzielen die großen Pharmafirmen im Branchenvergleich hohe Gewinnraten.[3]

Gezielt fördern

Ein wichtiges Argument gegen Förderung mit der Gießkanne ist, dass neue Medikamente den PatientInnen oft keine Vorteile bringen. Seit 2011 gibt es in Deutschland eine verpflichtende Nutzenbewertung. Betrachtet man den Nutzen auf Ebene der bewerteten PatientInnengruppen,[4] dann wurde von 2011 bis zum 1.4.2022 nur bei einem Drittel (30,3%) ein Zusatznutzen gefunden. Deutliche Verbesserungen (erheblicher oder beträchtlicher Zusatznutzen) erzielten nur 12,1%.[5] Dazu kommt eine deutliche Schieflage bei den Krankheiten: Krebsmedikamente machen 30% aller Zulassungen aus, gefolgt von Stoffwechselkrankheiten mit 18%. Neue Antibiotika dagegen muss man mit der Lupe suchen. Und das, obwohl die globale Angst vor einem Postantibiotischen Zeitalter seit Jahren in den Schlagzeilen ist.

Die Nutzenbewertung neuer Arzneimittel und andere Maßnahmen, um die Ausgaben der Krankenkassen zu begrenzen, kamen in den Stellungnahmen der Sachverständigen lediglich als Investitionshindernis zur Sprache. Bloß nicht zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Innovationen keine substanziellen Fortschritte für PatientInnen bringen.

EU-Subventionen

Ein Punkt des CDU/CSU-Antrags war die Unterstützung des Important Project of Common European Interest (IPCEI) für Gesundheit, an dem sich Deutschland inzwischen beteiligt. Diese besondere Form der Wirtschaftsförderung wird von der EU in letzter Zeit vermehrt betrieben (z.B. für die Batterieproduktion für E-Autos). Dass man der profitablen Biotech-Branche unter die Arme greifen muss, erschließt sich allerdings nicht unmittelbar. An IPCEIs gibt es auch generell Kritik. Warum fördert man Projekte großer Firmen, die insgesamt hohe Gewinne erzielen und über genügend Eigenkapital verfügen? Kleinere und mittlere Firmen haben es dagegen schwerer die Förderung zu erhalten. Ein fairer Wettbewerb sieht anders aus.[6] Auch der anschließende Zugang zu den Forschungsprodukten ist nicht geregelt. Es soll zwar einen Übergewinnmechanismus geben, doch der führt lediglich zu einer Umverteilung unter den Projektbeteiligten.[7]

Risiken abwälzen

Der CDU/CSU-Antrag legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Unterstützung von Startup-Unternehmen. Solche Ausgründungen aus dem universitären Bereich werden immer wichtiger, weil die „in House“-Entwicklung durch Big Pharma stark abgenommen hat.[8] Hier findet aber nicht nur eine Risikoverlagerung statt, das Ganze wird auch unnötig teuer. WissenschaftlerInnen forschen jahrelang auf Staatskosten und wenn sich abzeichnet, dass daraus ein vermarktungsfähiges Produkt entstehen könnte, wird ein Startup-Unternehmen gegründet. Risikokapital wird eingesammelt und klinische Studien werden durchgeführt. Ist das Medikament erfolgreich, wird das Startup in aller Regel von einer großen Firma aufgekauft.

Das ist aus gesellschaftlicher Sicht nicht vorteilhaft. Denn es entstehen Kosten, die nicht primär auf die Ausgaben für Forschung zurückzuführen sind, sondern auf spekulative Erwerbungen. Sie werden durch überhöhte Medikamentenpreise finanziert – also auf dem Rücken der Krankenversicherten. Dazu zwei Beispiele:

Die Firma Pharmasset, eine Gründung von vier Uni-Wissenschaftlern, hatte den Wirkstoff Sofosbuvir bereits erfolgreich an mehreren hundert Hepatitis-C-PatientInnen getestet, bevor sie aufgekauft wurde. Pharmasset hatte für Forschung 271 Millionen US$ ausgegeben. Gilead kaufte das Startup für 11,2 Milliarden US$.[9] Das Mittel wurde zum Tausendfachen des Herstellungspreises auf den Markt gebracht und bescherte der Firma im Folgejahr einen Konzerngewinn von über 50%.[10]

Zolgensma®, ein Mittel gegen spinale Muskelatrophie, entstand hauptsächlich in der Ohio State University und dem Nationwide Children‘s Hospital. Dort wurde auch die für die Zulassung entscheidende Studie durchgeführt. Brian Kaspar arbeitete von 2004 bis 2017 in beiden Institutionen. Noch während seiner Tätigkeit an der Universität gründete er ein Start-up, das Novartis im Mai 2018 für 8,7 Milliarden US$ kaufte und damit auch die Rechte an dem Produkt erwarb.[11]

Wagniskapital mit Risiko­bremse

Das kostentreibende Startup-Modell funktioniert nur mit Wagniskapital, also mit Investoren, die auf extreme Profite setzen. Denen möchte die CDU/CSU eine goldene Brücke bauen. Sie fordert, dass der Staat einen „BioTech Future Fonds“ auflegt und mit mindestens einer Milliarde € ausstattet. Damit soll das Risiko der Investoren um ein Drittel gemindert werden.

In der Anhörung gab es weitere Vorschläge, wie Wagniskapital angelockt werden kann. So sollten Versicherungen in riskante Geschäfte investieren dürfen. Selbst der Vorschlag, die staatliche Rentenkasse zu plündern, stieß nicht ernsthaft auf Widerspruch. Statt die Rentenbeiträge im Umlageverfahren an die RentnerInnen direkt wieder auszuzahlen, soll mit den Beiträgen die Spekulation ermöglicht werden.

Man müsse den Investoren günstige Bedingungen bieten, so der Tenor. Denn sonst wanderten sie in andere Staaten ab, Arbeitsplatzverluste drohten. Das alles läuft auf einen Unterbietungswettbewerb hinaus: Wer subventioniert am meisten? Dabei wurde ironischerweise auch gefordert, dass die Übernahme von Startup-Unternehmen durch Investoren außerhalb der EU erleichtert werden solle. Das kann wiederum zur Abwanderung von Forschung und Produktion führen.

Public Return on Public ­Investment

Wirtschaftsförderung kann das Bruttosozialprodukt steigern, das bedeutet bei Arzneimitteln aber unmittelbar auch höhere öffentliche Ausgaben. Abgesehen von der Pharma-Kampagne schien es unter den Anwesenden keinen zu interessieren, ob die Förderung überhaupt notwendig ist, ob nützliche Medikamente entstehen und zu welchem Preis die Produkte auf den Markt kommen. Auch die Frage nach dem Public Investment ging unter: Wenn der Staat so viel fördert, was bekommt er dann zurück? Eine sinnvolle gezielte Forschungsförderung sieht anders aus.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2023, S. 1

 

[1] Den Antrag der CDU/CSU, die ausführliche Stellung­nahme der Pharma-Kampagne sowie der anderen StellungnehmerInnen und eine Aufzeichnung der Sitzung findet sich hier: www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw09-pa-wirtschaft-innovationsstandort-deutschland-934990

[2] Telschow C et al. (2021) Der Arzneimittelmarkt 2020 im Überblick, in: Schröder, Helmut et al. (Hg.), Arzneimittel-Kompass 2021, Berlin: Springer; S. 264 https://doi.org/10.1007/978-3-662-63929-0_16

[3] Hawksbee L et al. (2022) Don’t worry about the drug industry’s profits when considering a waiver on covid-19 intellectual property rights. BMJ; 376, p e067367 http://dx.doi.org/10.1136/bmj-2021-067367

[4] Ohne Orphan-Arzneimittel bis 50 Mio. € Umsatz pro Jahr (ab 2023 30 Mio. €), denen aufgrund der gesetzlichen Zusatznutzenfiktion immer ein Zusatznutzen ohne Rücksicht auf die realen Daten bescheinigt werden muss.

[5] Haas A et al. (2022) Ergebnisse des AMNOG-Erstattungsbetragsverfahrens. In: H. Schröder et al. (Hrsg.), Arzneimittel-Kompass 2022. Berlin: Springer, S. 258-262 https://doi.org/10.1007/978-3-662-66041-6_19

[6] Poitiers N and Weil P (2022) Opaque and ill-defined: the problems with Europe’s IPCEI subsidy framework, Breugel, 26 Jan www.bruegel.org/blog-post/opaque-and-ill-defined-problems-europes-ipcei-subsidy-framework

[7] Jones Day (2022) EU Revises State Aid Rules for Important Projects of Common European Interest, February www.jonesday.com/en/insights/2022/02/eu-revises-state-aid-rules-for-important-projects-of-common-european-interest [Zugriff 27.2.2023]

[8] Jung E et al. (2019) Do large pharma companies provide drug development innovation? Our analysis says no. Stat News, 10 Dec www.statnews.com/2019/12/10/large-pharma-companies-provide-little-new-drug-development-innovation/ [Zugriff 27.2.2023]

[9] US Senate (2015) The Pricing of Sovaldi. Committee on Finance www.finance.senate.gov/imo/media/doc/3%20The%20Pricing%20of%20Sovaldi%20(Section%203).pdf

[10] Roy V and King L (2016) Betting on Hepatitis C: How Financial Speculation in Drug Development Influences Access to Medicines. BMJ; 354, p i3718

[11] Frank G (2019)  Zolgensma’s Journey from Lab Idea to Gene Therapy for SMA, SMA News Today, 27 June https://smanewstoday.com/news-posts/2019/05/27/zolgensmas-journey-from-lab-idea-to-gene-therapy-for-sma