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Die sechs wichtigsten Arzneimittelzulassungsbehörden der Welt[1] finanzieren sich zu großen Teilen direkt durch Pharmafirmen. Da sich viele Länder an ihren Entscheidungen orientieren, ist dieser kommerzielle Einfluss ein weltumspannendes Problem.

Die Investigativjournalistin Maryanne Demasi hat für die britische Medizinfachzeitschrift BMJ die Behörden unter die Lupe genommen.[2] Trauriger Spitzenreiter ist die australische TGA, deren Budget zu 96% aus Pharmageldern stammt, gefolgt von der EU-Behörde EMA mit 89%, Schlusslicht ist Health Canada mit 50,5%. Das Geld verschafft Einfluss, denn die Behörden fungieren zunehmend auch als Berater der Firmen für die Planung von Arzneimittelstudien. Auch die Stellen der KontrolleurInnen hängen letztlich vom Verhalten einer Behörde ab: Je strenger sie urteilt, umso weniger Zulassungsanträge werden eingereicht und umso geringer sind die Gebühreneinnahmen.

Der Industrieeinfluss war nicht immer so stark. 1995 machten bei der EMA Gebühreneinnahmen von der Industrie gerade einmal 20% der Einnahmen aus. Bis 1992 finanzierte sich die US-Behörde FDA vollständig aus Steuermitteln. Danach wurden per Gesetz Gebühren für die Industrie eingeführt, 2021 machten sie 65% der FDA-Einnahmen aus. Im Gegenzug wurden der Industrie schnellere und einfachere Zulassungen versprochen. Seither wurden die Standards in den USA mehrfach weiter abgesenkt:[3] So wurde 1997 die Verpflichtung aufgehoben, dass für jedes neue Medikament mindestens zwei klinische Studien durchgeführt werden müssen, die beide eine Wirksamkeit belegen. 2012 wurde die Nutzung von Surrogat-Endpunkten (statt direkt patientenrelevanter Ergebnisse) weiter erleichtert.

Es gibt einen wachsenden Anteil von beschleunigten Zulassungen, bei denen die Hürden erheblich geringer sind. Bei der FDA machen sie inzwischen 68% aller neuen Arzneimittel aus, die EMA folgt mit 50%, in Kanada sind es dagegen nur 16%. Mag es in Ausnahmefällen mangels Behandlungsalternativen akzeptabel sein, Medikamente mit dünner Evidenz frühzeitig zuzulassen, ist es dennoch bedenklich, dass solche Verfahren zur Regel werden. Sie setzen PatientInnen einem höheren Risiko bei ungesichertem Nutzen aus. Erschwerend kommt hinzu, dass mit der vorzeitigen Zulassung verbundene Auflagen für bestätigende Studien oft nicht eingehalten oder verspätet umgesetzt werden.

Maryanne Demasi verweist darauf, dass beschleunigt zugelassene Medikamente überdurchschnittlich häufig wieder vom Markt genommen werden müssen. Im Pharma-Brief haben wir wiederholt über fragwürdige Zulassungsentscheidungen und Rückzüge von Arzneimitteln wegen zu hohen Schadenspotenzials berichtet.

Mit welchen Daten?

Nur zwei der sechs Behörden (Japan, USA) verlangen von den Herstellern routinemäßig die individuellen PatientInnendaten, obwohl nur mit diesen eigene Auswertungen der Studienergebnisse möglich sind. Die US-FDA macht das auch regelmäßig. Allerdings hat die FDA mit 5,8 Mrd. € mit Abstand den größten Etat. Die europäische EMA muss dagegen mit 386 Mio. € auskommen.

Besonders schwer haben es die Firmen bei der Zulassung nicht. Die Rate der positiven Entscheide liegt zwischen 83% (Kanada) und 98,5% (Vereinigtes Königreich). Ausnahme sind die USA: bei Biologika beträgt die Erfolgsquote 29% und für alle anderen Medikamente 69%. Ob das mit einer strengeren Prüfung oder mit der Tatsache zusammenhängt, dass Hersteller oft zuerst in den USA einen Zulassungsantrag stellen (und es bei einem Misserfolg dann andernorts gar nicht mehr versuchen), bleibt unklar.

Interessenkonflikte

Nicht alle Behörden machen Interessenkonflikte transparent. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch externe ExpertInnen, die bei schwierigen Entscheidungen oft das Zünglein an der Waage sind. Demasi hat das beispielhaft bei den zu Covid-19-Impfstoffen konsultierten Fachleuten analysiert. Hier schnitt Japan mit einer Rate von 75% der Beteiligten mit Konflikten besonders schlecht ab, es folgt Australien mit 50%. Dagegen waren es in Kanada 0%, bei der EMA 3%.

Drehtür

Auch der Rollenwechsel zwischen Kontrolle und Kontrollierten ist bedenklich. EMA-Direktor Thomas Lönngren gründete zum Ende seiner Amtszeit 2010 direkt eine Beratungsfirma und ließ die Industrie an seinem Insiderwissen teilhaben.[4],[5] Die gegenwärtige EMA-Direktorin Emer Cooke war 1992-1998 beim Europäischen Pharmaverband Efpia für Regulierung – also für die EMA – zuständig.[6]

Noch deutlicher ist der Drehtüreffekt bei der FDA: Zwischen 2006 und 2019 nahmen neun von zehn der ChefInnen nach Ende ihrer Amtszeit Jobs der Pharmaindustrie an. Aber auch ein Viertel der KontrolleurInnen der FDA, die Krebsmedikamente beurteilten und die Behörde verließen, berieten im Anschluss die Industrie oder wurden von Medikamentenfirmen eingestellt.

KritikerInnen fordern Maßnahmen, um das Vertrauen in die Kontrolle wieder herzustellen: Bei ExpertInnen-Komitees müssten alle Interessenkonflikte detailliert mit Angabe der gezahlten Summen offengelegt und vor allem begründet werden, warum niemand ohne Konflikte gefunden wurde. Das Verfahren der beschleunigten Zulassung müsste grundsätzlich überdacht werden: Welche Surrogat-Endpunkte sind hinreichend zuverlässig, um einen Nutzen für PatientInnen wahrscheinlich zu machen? Und sind bestätigende Studien bereits begonnen worden? Bei negativem Ausgang müssten die Mittel dann auch zügig wieder vom Markt verschwinden.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7-8/2022, S.4
Bild © Frank Vicentz

[1] TGA (Australien), EMA (EU), MHRA (Vereinigtes Königreich), PMDA (Japan), FDA (USA), Health Canada (Kanada)

[2] Demasi M (2022) From FDA to MHRA: are drug regulators for hire? BMJ; 377, p o1538

[3] Mitchell AP et al. (2022) The Prescription Drug User Fee Act. Med Care; 60, p 287

[4] Pharma-Brief (2011) Fliegender Seitenwechsel. Nr. 2-3, S. 5

[5] Pharma-Brief (2011) EMA reagiert. Nr. 4, S. 8

[6] EMA (2022) Executive director www.ema.europa.eu/en/about-us/who-we-are/executive-director  [Zugriff 6.9.2022]