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Warum werden Profite statt Menschen geschützt?

Vor zwei Jahren wurde Covid-19 entdeckt, seit einem Jahr gibt es Impfstoffe. Doch große Teile der Weltbevölkerung sind vom Zugang ausgeschlossen. Konstruktive Vorschläge, die Produktion zügig auszuweiten, werden von wenigen Industrieländern blockiert, Deutschland gehört dazu. Jetzt rächt sich die global geringe Impfrate. Immer neue Virusvarianten machen auch vor reichen Ländern nicht halt.

Bereits die Delta-Variante des Virus war deutlich ansteckender als vorherige Covid-19 Typen. Sie verbreitete sich innerhalb kurzer Zeit weltweit. Seit kurzem ist die zuerst in Südafrika identifizierte Omikron-Variante in Europa angekommen. Noch ist unklar, welche Auswirkungen sie hat. Fest steht allerdings, dass eine schnelle Eindämmung der Pandemie wesentlich von hohen Impfraten überall auf der Welt abhängt. Dafür braucht es viele Impfdosen. Und die fehlen, denn die Patentinhaber beharren auf ihrem Recht, allein zu entscheiden, wo und wieviel Impfstoff produziert wird – obwohl die Entwicklung auf öffentlichen Erfindungen basiert und mit Milliardensummen für Forschung und Abnahmeversprechen abgesichert wurde.

Geradezu zynisch wirkt das Argument von Firmen und Politik, irgendwann im nächsten Jahr würde ja genügend Impfstoff produziert. Weder ist es sicher, dass das Versprechen Wirklichkeit wird, noch wird der Preis angemessen sein. Und letzteres ist auch von großer Bedeutung, da die Beschaffung von Impfstoffen über den globalen Verteilmechanismus COVAX mit öffentlichen Geldern finanziert werden muss.

„In der langen Geschichte der Pharmakonzerne ist ihr wichtigstes Anliegen, die Gewinne zu maximieren. Das ist ihr Geschäftsmodell. Um Gewinne zu maximieren, muss man das Angebot verknappen.“[1] - Wirtschaftsnobelpreisträger Josef Stieglitz

Das Herstellungsmonopol dient lediglich dazu, die Produktion zu beschränken und so möglichst hohe Preise zu sichern. Pfizer, Biontech und Moderna erzielen mit den Impfstoffen dieses Jahr nach Berechnungen der People's Vaccine Alliance einen Gewinn (!) von 34 Milliarden US$.[2]

Vorschläge lagen auf dem Tisch

Bereits im Mai 2020 brachte Costa Rica in die Weltgesundheitsversammlung einen sinnvollen Vorschlag ein: Man solle den für HIV-Medikamente existierenden Patentpool (MPP) auch für die damals noch zu entwickelnden Covid-19 Produkte zu nutzen und um Technologietransfern zu erweitern (C-TAP). Der Pool blieb aber bis vor einem Monat völlig leer,[3] kein einziger Impfstoff ist an den MPP lizensiert. Denn selbst diese (freiwillige) Lizensierung an den Patentpool wurde von reichen Ländern nicht unterstützt. Im Oktober 2020 stellten daher Indien und Südafrika den Antrag auf ein Aussetzen der Patentrechte für Covid-19 Produkte (Waiver) bei der Welthandelsorganisation (WTO). Während weit über 100 Staaten den Waiver unterstützen, blockieren einige Industrieländer. „Eine politisch erwirkte Freigabe der Patente halte ich für den falschen Weg“, sagte Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung vom 24.6.2021.[4]

WTO vertagt sich wegen Covid

"Das Vorenthalten von Impfstoffen ist im Grunde eine Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln." - Jörg Schaaber

Eigentlich sollte vom 30.11.-3.12.2021 die WTO in Genf tagen und eine Lösung für die Blockade beim Waiver finden. Wegen der neuen Corona-Reisebeschränkungen wurde das Treffen jedoch wenige Tage vor Beginn auf unbestimmte Zeit verschoben. Der politische Schaden ist groß. Denn mit der Vertagung rückt eine schnelle Lösung in weite Ferne, obwohl inzwischen auch die kleine aber mächtige Front der Waiver Gegner bröckelt. Sogar die USA können sich für einen Waiver erwärmen. Präsident Biden betonte kürzlich erneut, dass er sich dafür einsetzt: „Die Nachrichten über diese neue Variante [Omikron] macht es deutlicher denn je zuvor, warum die Pandemie nicht enden wird, bevor wir weltweit Impfungen haben.“[5]

Die Europäische Union setzt dagegen weiter auf Scheinlösungen. Kürzlich verkündete Handelskommissar Valdis Dombrovskis: „In den vergangenen Monaten hat sich die Europäische Union, in diesem Fall die EU-Kommission, innerhalb der WHO sehr engagiert, um zu diskutieren, wie wir Zwangslizenzen handhaben könnten.“[6] Dabei gehören Zwangslizenzen längst zum von der WTO erlaubten Instrumentarium, um Medikamente und Impfstoffe auch ohne Zustimmung des Patentinhabers produzieren zu können. Nur ist das Verfahren zeitraubend und unflexibel und deshalb in der aktuellen Krise untauglich.

Mary Robinson, ehemalige Präsidentin von Irland und UN-Menschrechtskommissarin, appelliert an die EU, die Blockade aufzugeben. Eine besondere Botschaft hat sie an Deutschland: „Deutschland, das mit der Förderung und Unterstützung des Biontech-Pfizer Impfstoffs der Welt einen enormen Dienst erwiesen hat, muss seine Schlüsselrolle spielen, indem es sich anderen europäischen Ländern anschließt, um ihn [den Waiver] Wirklichkeit werden zu lassen. Ich hoffe, dass die Regierung des kommenden Kanzlers Scholz diese frühe Gelegenheit, globale Führungsstärke zu zeigen, zu nutzen weiß.“[7]  (JS)

Der Zugang zu Covid-19-Impfungen ist global ungerecht verteilt. In den meisten afrikanischen Staaten liegt die Quote der voll Geimpften unter 10%, Schlusslicht ist die Demokratische Republik Kongo mit 0,06%.[8] In Deutschland sind dagegen 68,6% voll geimpft und 12,5% haben eine zusätzliche Boosterimpfung erhalten.[9]

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2021, S.1
Bild Weltkarte Zugang Covid-19-Impfungen © WHO, Datenstand 30.11.2021

[1] www.youtube.com/watch?v=dD8McADeWvs [Zugriff 1.12.2021]

[2] Oxfam (2021) Profit vor Weltgesundheit: 1000 Dollar Gewinn pro Sekunde für Pharmafirmen – aber kaum Impfstoff für einkommensschwache Länder. Pressemitteilung 16. Nov. www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2021-11-16-profit-weltgesundheit-1000-dollar-gewinn-pro-sekunde-pfizer [Zugriff 1.12.2021]

[3] Pharma-Brief (2021) Molnupiravir: Öffentlich entdeckt – privat kassiert? Nr. 8-9, S. 4

[4] Tagesschau (2021) Regierungserklärung vor EU-Gipfel: Merkel verteidigt Patentschutz für Impfstoffe. 24. Juni www.tagesschau.de/inland/merkel-regierungserklaerung-155.html

[5] Reuters (2021) U.S. President Biden calls for intellectual property protection waivers after Omicron discovery. 27 Nov www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/us-president-biden-calls-intellectual-property-protection-waivers-covid-19-2021-11-26

[6] Reiche M (2021) Streit über Patente: Zwangslizenzen für Corona-Impfstoff? Tagesschau 1.12.2021 www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/patente-freigabe-corona-impstoff-101.html [Zugriff 1.12.2021]

[7] Robinson M (2021) Vaccine waiver is a moment of truth for EU values. Politico 1 Dec www.politico.eu/article/vaccine-waiver-eu-values-coronavirus

[8] WHO (2021) WHO Coronavirus dashboard. Datenstand 30.11.2021 https://covid19.who.int/ [Zugriff 1.12.2021]

[9] RKI (2021) Tabelle mit den gemeldeten Impfungen nach Bundesländern und Impfquoten nach Altersgruppen. Datenstand 1.12.2021 www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfquotenmonitoring.xlsx