Pharma Brief3 C Schaaber web


Indische Pharmakonzerne gegen Abwasserkontrollen

Indiens Regierung will die Abwässer aus der Antibiotika-Produktion besser regulieren. Dafür hat sie ein bahnbrechendes Gesetz auf den Weg gebracht. Doch mächtige Pharmakonzerne versuchen, bessere Umweltstandards zu verhindern. Das britische Bureau of Investigative Journalism veröffentlichte dazu einen brisanten Bericht, den wir in deutscher Übersetzung ­präsentieren.[1]

Die meisten Antibiotika der Welt werden in Fabriken in Indien und China hergestellt. In den letzten zehn Jahren haben zahlreiche Studien gezeigt, dass diese Fabriken Abfälle, die Antibiotikarückstände und arzneimittelresistente Bakterien enthalten, in die Umwelt ableiten.[2]

Diese Umweltverschmutzung, so warnen ExpertInnen, begünstigt die Ausbreitung von so genannten Superbakterien – Mikroorganismen, die gegen Antibiotika resistent sind.

Im Januar dieses Jahres veröffentlichte die indische Regierung einen Gesetzesentwurf, der erstmals Grenzwerte für Antibiotika festlegt, die in Flüsse und die umliegende Umwelt eingeleitet werden. Dieser Gesetzentwurf wurde durch Recherchen des Bureau of Investigative Journalism sowie weiterer Organisationen[3] angestoßen.

Widerstand der Pharmaindustrie

Mit zahlreichen Anträgen an die Regierung hat die Indian Drug Manufacturers Association (IDMA) – die führende Pharmaunternehmen vertritt – jedoch versucht, die vorgeschlagenen Regelungen zu verhindern. Konkret hat sie argumentiert, dass die strengen Grenzwerte für die Verschmutzung stattdessen Zielvorgaben sein sollten. Eine große Anzahl von Fabriken sollte außerdem von den Vorschriften ausgenommen werden.

Die Beratung der Regierung zu dem Gesetzesvorschlag, der Grenzwerte für 121 gängige Antibiotika festlegt, wurde im März abgeschlossen. Das Gesetz soll in den nächsten Monaten in Kraft treten.

Die IDMA hat sowohl beim Ministerium für Umwelt, Wälder und Klimawandel als auch beim Central Pollution Control Board Lobbyarbeit betrieben. Das offenbaren geleakte Dokumente, die dem Journalistenbüro vorliegen. In einem Brief an das Ministerium behauptete der Verband, dass die Industrie im Zuge der vorgeschlagenen Umweltmaßnahmen „unsägliches Elend durch Rechtsstreitigkeiten und Schikanen sowohl durch AktivistInnen als auch durch die Regulierungsbehörde“ erfahren würde. Weiterhin böte die Coronavirus-Pandemie dem indischen Pharmasektor ein „enormes Potenzial für Geschäftsmöglichkeiten“, „Märkte zu erobern, die bisher von China dominiert wurden“.

Fadenscheinige Argumente

Als Reaktion auf die geleakten Dokumente betonten AktivistInnen, dass die indischen Behörden der Lobbyarbeit der Industrie entschieden entgegentreten müssen. „Es ist ungeheuerlich, dass die Pharmaindustrie versucht, die gegenwärtige Covid-19-Krise zu nutzen, um die Richtlinienentwürfe für Arzneimittelproduktionsstätten zu schwächen“, sagte Nusa Urbancic von Changing Markets, einer in Großbritannien ansässigen Kampagne, die schädliche Unternehmenspraktiken aufdeckt. „Antimikrobielle Resistenz ist eine tickende Zeitbombe und zahlreiche Studien - darunter auch unsere eigenen Untersuchungen - haben gezeigt, dass umweltverschmutzende Pharmafabriken in Indien erhebliche Mengen unbehandelten Abwassers freisetzen, das zur Entstehung tödlicher Superbakterien beiträgt.“

In den geleakten Dokumenten argumentiert die IDMA, dass pharmazeutische Fabriken, die ZLD-Systeme (Zero-Liquid-Discharge) betreiben, von der Gesetzgebung ausgenommen werden sollten. Der Grund dafür sei, dass alle Produktionsabfälle in ZLD-zertifizierten Betrieben behandelt und aufbereitet würden. Andere Fabriken leiten die Abwässer häufig direkt in Flüsse ein.

Ein Bericht von Changing Markets legt jedoch nahe, dass ZLD-Anlagen ihrem Namen nicht immer gerecht werden. Die Untersuchung zeigte „inakzeptable Einleitungen von Produktionsabwässern“ durch zahlreiche Fabriken in Hyderabad, einem Hauptstandort der pharmazeutischen Produktion in Indien. Hier wurden im Jahr 2017 nahezu 40 % der Anlagen mit ZLD-Systemen betrieben.

Der Bericht dokumentiert ausführlich das Vergehen eines Unternehmens, das – angeblich führend in der ZLD-Technik – Abwässer in einen See stromabwärts seiner Fabrik eingeleitet hatte.

Public versus private

Außerdem beschwert sich der Industrie-Verband darüber, dass die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen zulässigen Antibiotika-Konzentrationen nicht auf den Empfehlungen basierten, die die AMR Industry Alliance formuliert habe. Dabei handelt es sich um eine internationale Koalition des Privatsektors, die zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen gegründet wurde. Die Industrie-Allianz hatte 2018 eine Reihe von Zielvorgaben veröffentlicht. In dem Brief wird argumentiert, dass die Rückstandsmengen, die nach dem indischen Gesetz erlaubt wären, „willkürlich“ niedriger seien, „ohne wissenschaftliche Begründung“. Die IDMA deutet an, dass ein Abweichen von den selbst gesetzten Standards der Industrie das Wachstum des indischen Pharmasektors gefährden würde.

Die im Gesetzesentwurf festgelegten Grenzwerte wären viel strenger als die Zielvorgaben der Allianz. Letztere beziehen sich lediglich auf die Antibiotika-Konzentration im Gewässer, in das der Abfall eingeleitet wird, nicht auf die Konzentration im Produktions-Abwasser. Die indische Regierung will aber Grenzwerte für das Abwasser vorgeben, wodurch letztendlich weniger Antibiotika-Rückstände freigesetzt würden. Der Aufforderung zu einer Stellungnahme kam die IDMA nicht nach.

AutorInnen: Andrew Wasley, Alexandra Heal, Madlen Davies.

Übersetzung: Hannah Eger

Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2020, S.2

[1] https://www.thebureauinvestigates.com/stories/2020-03-31/indian-drug-companies-try-to-gut-antibiotic-pollution-controls  [Zugriff 24.4.2020]

[2] Pharma-Brief (2017) Resistente Keime in Indien. Nr. 5-6, S. 1

[3] Weitere Organisationen, die an der Kampagne beteiligt waren: Changing Markets, Centre for Science and Environment in New Delhi, Stockholm International Water Institute