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Initiativen fordern eine bessere globale Gesundheitsversorgung

Die COVID-19 Pandemie lässt lange existierende Probleme in der globalen Gesundheitsversorgung wie in einem Brennglas erscheinen und gibt kritischen Positionen Aufwind. Zugleich werden für Forschung und Versorgung gewaltige Summen locker gemacht. Das ruft die Zivilgesellschaft auf den Plan und sorgt für intensive Advocacy-Arbeit. Gemeinsam mit ihren Bündnis-Partnern brachte die BUKO Pharma-Kampagne zahlreiche Initiativen auf den Weg.

Allein im Juni war die Pharma-Kampagne an drei öffentlichen Briefen und Aufrufen beteiligt. Die Themen: unvorteilhafte GAVI-Strukturen, industrieller Lobbyeinfluss in Brüssel und das Risiko, das von Sonderklagerechten ausländischer Investoren ausgeht.

Klärungsbedarf bei GAVI

Die Vielfalt und der Umfang von neuen Initiativen, Fördertöpfen und Auffüllungskonferenzen zu COVID-19 ist im Gesundheitsbereich beispiellos. Doch überwiegend fehlt es an klaren und ambitionierten Regelungen, was den globalen Zugang zu Behandlung oder Impfstoffen angeht. Zwei Public-Private Partnerships kommt in der Förderung eine besonders wichtige Rolle zu: der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und der Impfallianz GAVI. So steuert GAVI etwa die Ausgestaltung von COVAX (COVID-19 Vaccine Global Access).[1] COVAX soll für die Beschaffung und gerechte Verteilung von Impfstoffen sorgen. Es ist eine von mehreren Säulen der globalen Initiative ACT-A, die wiederum nicht nur von WHO und EU getragen wird, sondern auch von Stiftungen und Industrieverbänden (wir berichteten[2]).

Ein erster Aufschlag zur COVAX-Struktur hatte Befürchtungen geweckt, dass die Gelder in den Taschen der Pharma-Industrie landen könnten, ohne dass die Datentransparenz gewährleistet und der Zugang zu Forschungsergebnissen sichergestellt wäre. Ein undurchsichtiger Deal von GAVI mit dem Pharma-Riesen AstraZeneca zu einem möglichen Impfstoff bestärkte diese Sorge zusätzlich. Die BUKO Pharma-Kampagne reagierte gemeinsam mit 44 anderen NGOs und Einzelpersonen. Am 23. Juni – im Vorfeld eines GAVI-Treffens – verschickten wir einen offenen Brief an die Mitglieder des GAVI-Vorstands. Wir benannten sieben Kernpunkte für die Ausgestaltung von Covax und machten dabei unmissverständlich deutlich: „Die öffentliche und phi­lanthropische Finanzierung sollte in eine Verteilung effektiver Impfstoffe münden, die als globales öffentliches Gut betrachtet werden: verkauft zum Selbstkostenpreis und frei von Einschränkungen durch Monopole.“

Zugang bei CEPI ungeklärt

CEPI wiederum wird bereits seit Anfang 2019 von zivilgesellschaftlicher Seite unter Beteiligung der Pharma-Kampagne dazu gedrängt, seine Zugangsregelungen endlich wieder strikter zu gestalten (wir berichteten[3]). Bislang bewegte sich das PPP allerdings nicht in eine bessere Richtung – eine Verweigerungshaltung, die sich nun in den Bemühungen gegen COVID-19 ebenfalls rächen könnte.

Gegen die Lobbymacht

Auch zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft formulierte die Pharma-Kampagne gemeinsam mit 58 Organisationen einen offenen Brief.  Tenor des Schreibens: „Drei große Ziele muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft angehen: Die Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen, die Beendigung von Ungleichheiten und der Kampf gegen die Klimakrise.“[4]

Die extreme Lobbymacht von Unternehmen und Verbänden in Brüssel ist ein zentrales Hindernis für notwendige Veränderungen in Politikfeldern wie Gesundheit, Land- und Finanzwirtschaft sowie Energie. Es gilt nun aber mutige Reformen voranzureiben, so die UnterstützerInnen, anstatt im Gegenteil unter dem Eindruck der momentanen Entwicklungen Vorgaben aufzuweichen (Stichwort „Coronawashing“). Ein wichtiger Ansatzpunkt dabei ist erhöhte Transparenz, etwa in EU-Gesetzgebungsverfahren, um die Entwicklung von Initiativen direkt zu verfolgen und Positionen nachvollziehen zu können. Damit erhält auch die Forderung nach einem umfassenden Lobbyregister neuen Nachdruck.

Wer hat Angst vor ISDS?

Mit einem weiteren sensiblen Spannungsverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft setzte sich ebenfalls im Juni ein offener Brief vom sogenannten Seattle to Brussels Network auseinander. Mittlerweile haben ihn über 650 NGOs und Einzelpersonen, darunter die Pharma-Kampagne, unterzeichnet (Stand vom 27.07.20).[5]

Er ruft Regierungen dazu auf, Staaten vor Klagen durch Investoren zu schützen, die Entschädigungen für die wirtschaftlichen Folgen von Maßnahmen zur COVID-19-Bekämpfung fordern könnten. Sonderklagerechte für ausländische Konzerne (Investor-state dispute settlement/ISDS) sind schon lange ein hochproblematisches Element vieler Handels- und Investitionsabkommen. Ein berühmter Fall war die Klage von Philip Morris gegen Australien wegen Einheitsverpackungen bei Zigaretten. Zwar gewann das Land den Prozess letztlich, blieb aber dennoch auf Kosten von fast 40 Millionen australischen Dollar hängen.  Paradoxerweise war das Verfahren für die Firma selbst deutlich weniger teuer.[6]

Das Schreiben des Seattle to Brussels Network konstatiert: „Bereits in der Vergangenheit kam es in Krisensituationen zu einer Häufung von Klagefällen, wie beispielsweise nach der argentinischen Finanzkrise 2001 oder dem Arabischen Frühling 2011.“ Es steht zu befürchten, dass sich ähnliches im Kontext der weltweiten Pandemie vollziehen könnte, Regierungen müssten entsprechend Gegenmaßnahmen einleiten.  (MK)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.4

[1] MSF et al. (2020) Open letter to Gavi Board Members: Urgent changes to COVAX Facility design required to ensure access to COVID-19 vaccines for all. https://msfaccess.org/open-letter-gavi-board-members-urgent-changes-covax-facility-design-required-ensure-access-covid-19 [Zugriff 27.07.2020]

[2] Pharma-Brief (2020) Wer bleibt außen vor? Zugang zu COVID-19 Produkten noch nicht gesichert. Nr. 5, S. 4

[3] Pharma-Brief (2019) Musterknabe auf Abwegen. Nr. 2, S. 1

[4] Corporate Europa Observatory & Lobby Control (2020) CSO Statement. https://corporateeurope.org/sites/default/files/2020-06/CSO%20statement%2022.6.2020%20FINAL%20DE_0.pdf [Zugriff 24.07.2020]

[5] Seattle to Brussels Network (2020) Offener Brief zu ISDS und COVID-19. http://s2bnetwork.org/offener-brief-zu-isds-und-covid-19/ [Zugriff 27.07.2020]

[6] Ranald F (2019) When even winning is losing. The surprising cost of defeating Philipp Morris over plain packaging. https://theconversation.com/when-even-winning-is-losing-the-surprising-cost-of-defeating-philip-morris-over-plain-packaging-114279 [Zugriff 27.07.2020]